Sterbliche Hüllen: Thriller (German Edition)
erzählte ihr alles über die Vereinigten Staaten, über Schnee und Disney World, den Grand Canyon und die Smoky Mountains. Ich bestellte uns diese Mutter-Tochter-Kleider. Es dauerte ewig, bis sie endlich eintrafen, dass ich schon dachte, sie seien inzwischen viel zu klein für sie. Aber sie passten großartig. Wir tragen sie auf diesem Foto.« Sie zeigte ihm eine silbergerahmte Aufnahme, auf der sie beide die gleichen Kleider trugen und sich lächelnd umarmten.
»Zu dieser Zeit stand ich schon in Korrespondenz mit Milo und hatte bereits sein Angebot angenommen, an sein Museum zu kommen. Ich dachte, das sei der allerbeste Platz, um sie großzuziehen. In dieser ganzen Zeit reiste ich nicht ein einziges Mal in die Staaten. Wenn ich zurückkam, dann sollte es mit ihr sein.«
»Was ist passiert?«, fragte Frank.
»Was passiert ist?« Diane seufzte, rieb sich die Augen und presste die Fingerspitzen auf die Stirn. »Wir waren bereits drei Jahre dort, und mein Team und ich hatten zahlreiche vernichtende Beweise gegen Santos gefunden. Wir dachten, Präsident Valdividia würde ihn festnehmen lassen. Wir überschätzten die Macht des Präsidenten. Er hatte Angst. Wir kamen gerade aus der Hauptstadt zurück, als wir fünf Kilometer von der Mission entfernt bereits Gewehrfeuer hörten. Auf diesen Straßen kommt man nur langsam voran. Als wir näher kamen, hörten wir die Klänge von ›In der Halle des Bergkönigs‹ durch den Dschungel schallen.«
Diane versagte ein paar Augenblicke die Stimme. »Als wir endlich auf dem Missionsgelände eintrafen, hatte … hatte er alle dort umgebracht, einschließlich … Überall war Blut. Er hatte die meisten Körper mitgenommen. Das war seine Lieblingsmethode – die Opfer seiner Gräuel in versteckten Massengräbern zu vergraben. Wir fanden Ariels CD-Player mitten auf dem Gelände. Jemand hatte die Wiederholungsfunktion aktiviert, sodass er nicht aufhörte, ›In der Halle des Bergkönigs‹ zu spielen. Er hatte ihre …« Dianes Mund zitterte, und ihr liefen erneut Tränen übers Gesicht. »Er hatte ihre kleinen blutigen Schuhe neben dem CD-Player liegen lassen. Sie muss fürchterliche Angst gehabt haben, und ich war nicht für sie da.«
Diane rollte sich zu einer Kugel zusammen, ballte die Fäuste und schluchzte laut auf. Frank zog sie erneut an sich heran und streichelte ihr den Rücken. Es dauerte einige Minuten, bis sie wieder sprechen konnte, Minuten, in denen sie versuchte, wieder zu Atem zu kommen und die Fassung wieder zu finden. Ihre Stimme zitterte, als sie die Erzählung fortsetzte: »Diese Morde waren als Lehre für mich gedacht, weil ich seine Lügen aufgedeckt hatte – ich hatte wirklich nicht mit seiner Rache gerechnet. Ich hoffte, Ariel sei vielleicht davongerannt und habe sich im Dschungel versteckt. Bei diesen Massakern gab es oft Überlebende. Deshalb konnten wir später auch Augenzeugen finden. Ich lief durch das Unterholz, schrie ihren Namen und suchte überall, bis sie – bis meine Freunde mich wegzogen.«
Erneut versank sie in Schweigen. Frank strich ihr ganz sacht mit der Hand über den Kopf. Diane hörte dem Regen zu, wie er monoton auf das Dach trommelte.
»Im Nachhinein finde ich meine Bemerkung ziemlich taktlos, dass ich wahnsinnig würde, wenn Kevin etwas wie Jay zustoßen würde. Das tut mir wirklich Leid, aber ich hatte ja keine Ahnung.«
»Eben. Nur wenige hier wissen Bescheid.«
Diane legte den Kopf an seine Schulter und schaute noch einmal die Fotos von Ariel durch. Neben Kummer verspürte sie vor allem Bedauern – Bedauern, sie nicht einfach mitgenommen zu haben. Warum musste sie unbedingt auf die entsprechenden Papiere und Genehmigungen warten? Ariel könnte in dieser Minute hier bei ihr sein.
»Gregory, mein Boss, tauschte die Teams aus. Unsere Objektivität war nach diesem Erlebnis nicht mehr gewährleistet. Ich ließ mich für ein Jahr beurlauben.«
»Was hast du während dieser Zeit gemacht?«
»Eine ganze Weile lang gar nichts. Ich ging zurück in die Vereinigten Staaten und versteckte mich in meiner Wohnung. Ich nahm Valium gegen meine Angstzustände und meinen Kummer, bis mich ein paar meiner Freunde überredeten, einige Höhlen mit ihnen zu erkunden. Höhlen sind sehr friedliche Orte – man fühlt sich dort fast wie im Mutterleib, nehme ich an. Diese Höhlentouren halfen wirklich. Milo bat mich dann, hierher zu kommen. Ich hätte beinahe abgesagt, aber dann machte ich mich doch einige Monate lang mit Museen im
Weitere Kostenlose Bücher