Sternenfaust - 111 - Die Stimmen der Götter
Palast.
*
Der Raisa selbst begleitete Wanda zum Tarkor, dem Sitz des Bolpor. Natürlich war der imposante Arbeitsturm im Herzen der Hauptstadt nur eines der unzähligen Gebäude des Bolpor. Wanda war sicher, dass hier nur der offizielle Teil der Arbeiten verrichtet wurde. Eine Fassade für das Volk. Was der Bolpor wirklich alles tat, und wo er überall Geheimverstecke hatte, wusste vielleicht nicht einmal Seran-Pakor.
Während Sun-Tarin und Satren-Nor im Palast zurückgeblieben waren, genoss Wanda die Aufmerksamkeit des zukünftigen Kridan-Herrschers. Sie wurden von einigen Marines und der Leibgarde des Raisa begleitet – siebzehn Musterexemplaren der Tanjaj, von denen vermutlich jeder einmal den Selif-Tanjaj angehört hatte, einer Spezialtruppe, die im kridanischen Reich den höchsten Ruf genoss sowie unzählige Privilegien.
Der Kridan im braunroten Ornat – der Raisa trug heute ein besonders auffälliges Gewand – führte die grün gewandete Botschafterin zu einem Antigrav-Aufzug. In Sekundenschnelle sausten sie das mehrere hundert Meter hohe Gebäude hinauf. Zuerst spürte Wanda einen unangenehmen Druck, doch dann griffen die Ausgleichvorkehrungen des Aufzugs und Wanda nahm die Geschwindigkeit nur noch über ihre Augen wahr. Der Aufzug war – wie die meisten Antigrav-Aufzüge der hohen Gebäude – an der Außenseite des spitzen Arbeitsturmes angebracht und rundherum verglast. Wanda spürte ein Gefühl von Schwindel, als sie so plötzlich in die Luft katapultiert wurde. Beunruhigend war auch der Effekt, dass der Turm unter ihr plötzlich aussah, als würde er auf der Grundfläche einer Nadelspitze stehen. Das sagt mir nur meine malträtierte Wahrnehmung.
Wanda blinzelte. Schon konnte sie über die Stadt blicken, bis hin zum Palast des Friedens, den ausgedehnten Parkanlagen und dem fernen Gebirge dahinter. Wanda bemühte sich um eine für Kridan freundliche Haltung. Seltsamerweise war sie bei diesem Besuch im kridanischen Imperium lange nicht so nervös wie beim Besuch des Raisa in den Solaren Welten. Nun war sie der Gast, und Gäste durften eher Fehler begehen als Gastgeber. Außerdem hatte die Anwesenheit von Diplomaten aus den Solaren Welten nicht erst seit seiner Exzellenz Maunga eine lange Tradition. Dass allerdings der Raisa selbst sich Zeit für sie nahm, sprach auch dafür, wie gut sie ihre Aufgabe beim ersten Besuch des Raisa in den Solaren Welten gemeistert hatte. Und das trotz des unrühmlichen Attentats, das vermutlich auf die J’ebeem zurückzuführen war.
Sie erreichten das oberste Stockwerk. Der Raisa forderte Wanda auf, ihm zu folgen. Grelles Sonnenlicht fiel in den Raum, der rundherum – bis zum Boden – verglast war. Wanda vermutete, dass die Kridan gegen Schwindelgefühle erblich bedingt immun sein mussten. Ihr setzte die Höhe und die freie Sicht zu. Man hatte das Gefühl jederzeit aus dem Gebäude hinausfallen zu können.
Unwillkürlich vermied Wanda es, zu nah an den Rand des Raumes zu treten, obwohl sie den Effekt aus den Hochhäusern New Yorks sehr gut kannte.
Die Kridan hatten einfach länger Zeit als wir, ihre Städte zu errichten. Nur deshalb sind sie höher und größer.
Bewundernd betrachtete Wanda die luxuriöse Inneneinrichtung. Das oberste Stockwerk war leergeräumt worden und der einzige Kridan in dem sonderbar ausstaffierten Raum war der Kridan aus dem Tempel mit dem einen Auge.
»Frau Botschafterin!«, schnarrte er über seinen Translator. »Ich hörte, Sie hatten unerfreuliche Begegnungen beim Hinweg zum Palast?«
Wanda machte eine Geste der Zustimmung. »Wir wurden mit faulem Obst beworfen.«
»Sehr bedauerlich.« Der Kridan wirkte tatsächlich betrübt. Wanda war er auf Anhieb sympathisch. Er hatte auf sie bereits im Tempel einen guten Eindruck gemacht. Ein Kridan, der ganz nach den Lehren der Predigers Satren-Nor lebte und den Frieden genoss. »Um so schöner finde ich es, Sie hier in meinen bescheidenen Räumlichkeiten Willkommen heißen zu dürfen.« Er machte eine weite Geste mit dem Schnabel, über den fast zweihundert Meter langen Raum hinweg, der durch mehrere Säulen und sonderbare Gebilde unterteilt war.
»Was ist das hier?«
Der Kridan kratzte ein wenig mit dem Fuß. »Nun … Das hier ist der Präsentierraum.« Er sah den Raisa an. »Darf ich unserem Gast einige unserer neusten Entwicklungen zeigen, Euer Heiligkeit?«
Der Raisa bejahte.
»Sehen Sie, Botschafterin«, erklärte der Kridan vergnügt. »Ich bin nicht nur der Chef eines
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