Sternenkinder
schrumpfte sofort. Pirius zwang sich, nicht zurückzuzucken.
Zu seinem Leidwesen bekamen es alle mit.
Links und rechts verlief der endlose Korridor der Kaserne in die Ferne, ein Kanal aus Etagenbetten, Spinden und Bioeinrichtungen. Darunter und auch darüber konnte man durch durchsichtige Wände und Decken vorne wie hinten ähnliche Gänge sehen, die in einem ordentlichen rechteckigen Gittermuster angeordnet waren, bis sie sich in milchiger Nichtunterscheidbarkeit verloren. Überall leerten sich die Bettenreihen, als die Rekruten zu den Freiübungen hinausmarschierten, mit denen jeder Tag begann. Dieser gesamte kleine Mond, die Kasernenkugel, war ausgehöhlt und mit einer Million Ensigns und anderen Auszubildenden angefüllt, einer Million angehender Piloten, Navigatoren, Ingenieure und Angehöriger des Bodenpersonals, alle ungefähr in Pirius’ Alter, alle begierig darauf, ins unaufhörliche Kampfgetümmel geworfen zu werden.
Die Bogen-Basis war in erster Linie eine Ausbildungsakademie für Flugbesatzungen. Die Kadetten hier waren hochintelligent, körperlich fit, sehr lebhaft – und von einem starken Konkurrenzdenken beseelt, bei der Arbeit wie auch in der Freizeit. Daher gab es hier alle möglichen Fraktionen, die sich fortwährend spalteten, verschmolzen und neu formierten, sowie Fehden und Liebesgeschichten, die mit der gleichen Heftigkeit aufflammen konnten. Heute war es Pirius’ Koje, vor der Captain Seath stand, und Pirius sah aus den Augenwinkeln, dass ihn alle mit ungezügelter Schadenfreude ansahen. Wenn dies vorbei war, würde sein Leben nicht mehr lebenswert sein.
Seath ging weiter. »Ziehen Sie Ihre Hose an, Pirius. Ein Schiff ist angekommen. Sie haben Besuch.«
»Besuch?… Verzeihung, Sir. Darf ich fragen, welches Schiff?«
»Die Assimilator’s Claw«, rief Seath ihm über die Schulter hinweg zu. »Und sie hat ein Scharmützel hinter sich.«
Das genügte Pirius. Er wusste, wer der Besucher sein musste. Torec und er sahen sich verwirrt an.
Seath entfernte sich bereits durch den langen Korridor. Hier und dort bellte sie einem unglücklichen Ensign ein Kommando zu.
Pirius schlüpfte hastig in seine Hose, seine Jacke und seine Stiefel. Er legte sich ein Reinigungstuch aufs Gesicht, ertrug den sekundenlangen stechenden Schmerz, als das halbintelligente Material seine Poren säuberte und seine Bartstoppeln auflöste, und eilte sodann hinter Seath her. Erleichtert hörte er, dass Torec ihm folgte; er hatte das Gefühl, dass er heute ein vertrautes Gesicht in seiner Nähe brauchen würde.
Pirius und Torec zwängten sich hinter Captain Seath in einen Flitzer. Das kleine Schiff, nicht viel mehr als ein transparenter Zylinder, schloss sich selbsttätig und sauste aus der Kasernenkugel in den Weltraum.
Überall um Pirius herum schossen Welten wie Kanonenkugeln durchs All.
Die Kasernenkugel gehörte zu einem Schwarm von über hundert kleinen Welten, aus denen die Basis im Bogen-Cluster bestand. Hinter den Steinbrocken drängten sich natürlich die aberhundert riesigen jungen Sterne, aus denen der Cluster selbst bestand – die größte Konzentration solcher Sterne in der Galaxis. Oberhalb der Sterne bot sich ein noch erstaunlicherer Anblick. Leuchtende Fäden aus ionisiertem Gas, das an den Schleifen des galaktischen Magnetfelds entlanggezogen wurde, verbanden sich zu einer hauchfeinen interstellaren Architektur in der Größenordnung von Lichtjahren. Die charakteristische Form dieser Fäden hatte den ›Bogen‹ ihren Namen gegeben, wie es hieß.
Das Zentrum der Galaxis war nur fünfzig Lichtjahre entfernt.
Es war ein atemberaubender, verwirrender Himmel – aber Pirius, Torec und Seath waren damit aufgewachsen. Sie schwiegen, während der Flitzer seinen gefährlichen Zickzackkurs durch die in stetiger Veränderung begriffene dreidimensionale Geometrie der Basis zurücklegte.
Außerdem hatte Pirius viel mehr im Kopf als Steine und Sterne.
Torec wirkte gefasst. Sie war ein wenig kleiner als er, mit etwas breiteren Schultern; sie hatte ein schmales Gesicht, aber einen vollen Mund, verblüffend graue Augen und braunes Haar, das sie in Reihen kurzer Stacheln trug. Torec verabscheute ihre Stupsnase, aber Pirius fand sie schön. Sie lagen nun schon seit ein paar Monaten miteinander im Clinch, wie es im Kasernenjargon hieß – Schwindel erregend lange in der fiebrigen Atmosphäre der Kaserne. Doch trotz der Sticheleien ihrer Kameraden deutete nichts darauf hin, dass ihre Zweisamkeit Risse bekam.
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