Sternenwind - Roman
schüttelte den Kopf. Offenbar hatte Liam eine Menge Theaterkunst von seinem Vater gelernt. Plötzlich wünschte ich mir eine möglichst lange Flötenstunde, eine große Pause von meinen Sorgen wegen des Treffens. Als wir vom Beton auf die Ebene traten, knirschte der Boden unter meinen Füßen, und ich wirbelte kleine Aschewolken auf.
Wir setzten uns auf einen Steinhaufen, der fast so groß war wie wir, von wo aus man einen guten Blick in alle Richtungen hatte. Am Horizont waren die letzten Flammen vor Artistos nun keine durchgängige Linie mehr. Weite Bereiche waren aus Mangel an Brennstoff erloschen. Ansonsten herrschte überall noch Dunkelheit. Auf der Ebene war es ungewöhnlich still, was zweifellos eine Folge des Feuers war. Nur zwei Monde waren sichtbar. Sommer hing hinter uns über dem Meer, eine rötliche Sichel, die nur mäßiges Licht spendete, und Ackermann wirkte wie ein ungewöhnlich großer Stern über Artistos. Das Mondlicht war so schwach, dass sich die Milchstraße über unseren Köpfen spannte, eine sichtbare Verbindung zwischen uns und den anderen bewohnten Planeten, zwischen uns, Chrysops und der Erde. Hinter uns drängte sich der Raumhafen, eine dunkle Linie, von der sich der Klotz des Hangars und die schlanke Spitze der Neuen Schöpfung erhoben. Ihr war nicht anzusehen, dass sich einige Menschen, die ich kannte, darin aufhielten.
Liam saß nahe genug neben mir, um seine Wärme zu spüren, ohne dass wir uns berührten. Ich setzte meine Flöte an die Lippen und blies leise »Sommerende«, ein Kinderlied über die Ernte, das ich von allen am besten spielen konnte. Meine Hände zitterten, vielleicht weil Liam mir so nahe war, vielleicht weil ich soeben in der Neuen Schöpfung gewesen war, vielleicht weil ich schon bald meine Heimat verlassen würde oder von meinem Bruder getrennt sein würde, meinem einzigen Blutsverwandten. Ich versuchte mich auf die Noten zu konzentrieren und so viel von mir wie möglich in die Melodie zu legen.
Liam kannte das Lied. Er stimmte ein und fügte die wenigen Noten hinzu, die ich noch nicht ganz beherrschte. Ich beobachtete aufmerksam seine Finger und folgte seinen Bewegungen, so gut ich konnte. Kurz vor dem Ende des Liedes spielte ich eine Note völlig falsch und zerstörte die Melodie mit einer Dissonanz. Wir lachten nervös und freundschaftlich. »So«, sagte er, »jetzt spielst du das hier nach. Aber hör zuerst zu. Schließ die Augen.«
Bewegende sanfte Töne erfüllten die Luft mit perfekten Übergängen. Liams Spiel trug mich davon, hob mich empor. Ich hatte das Lied noch nie zuvor gehört, aber es klang wie eine Reise, nach Wasser und Feuer und nach Liebe. Es klang wie die Reise, die wir soeben hinter uns gebracht hatten, nur ohne die Spannung, ohne die Jagd und ohne den Konflikt mit Nava. Ich hörte zu, bis er fertig war, dann saß ich eine Weile schweigend da.
Er sprach flüsternd, als wollte er den Zauber des Liedes nicht zerstören. »Es heißt ›Wasser zweier Seelen‹. Bist du bereit, es zu versuchen?«
Wir spielten gemeinsam und arbeiteten zwanzig Minuten lang an dem Lied. Liam hielt immer wieder inne, um mir eine komplizierte Grifffolge zu zeigen. Als wir beim dritten Durchgang zum Ende gekommen waren, setzte ich meine Flöte ab. Genug Ablenkung. Ich blickte in Richtung Artistos, wo der Himmel über der Stadt ein klein wenig heller geworden war. Nur noch wenige Stunden.
Liam nahm meine Hand. »Hast du Angst?«
Ich nickte. »Angst, dass ich versage, Angst, dass ich die Waffe benutzen möchte, Angst, dass sie mir Angst machen. Ich weiß es nicht. Vielleicht habe ich die meiste Angst davor, dass ich es nicht schaffe und dass Bryan etwas zustößt … oder Joseph … oder dir … irgendjemandem von uns.«
»Liebst du Bryan?«, fragte er und ließ meine Hand los, um seine Finger an meine Wange zu legen. Sein Blick suchte meinen. Mein Gesicht fühlte sich warm an.
»Natürlich.« Ich schluckte. »Ich liebe ihn … er ist wie Joseph, wie mein Bruder. Wie … Kayleen. Er gehört zu meiner Familie.«
»Aber du hast ihm nicht mehr versprochen?«
Ich schüttelte den Kopf. »Nein …« Ich unterdrückte jedes weitere Wort. Es war noch zu früh für ein solches Gespräch, unsere Welt war noch viel zu gefährlich. Aber es spielte eine Rolle, vor allem für die Entscheidungen, die ich letztlich treffen würde. Liam wollte nicht gehen, aber ich.
Er wartete auf meine Antwort. Ich wollte mich gegen ihn lehnen und mich von ihm halten lassen. Ich
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