Stimmen der Angst
alljährlich ein kleines, aber erlesenes persönliches Geschenk (Autohandschuhe aus Lammleder, lapislazulibesetzte Manschettenknöpfe, eine Krawatte, handbemalt von den künstlerisch begnadeten Kindern eines tibetischen Waisenhauses für mystisch Taube) zu Weihnachten.
Drei bis vier Mal im Jahr flog er auf ihre Bitte hin nach Albany oder Little Rock, nach Hialeah, Des Moines oder Falls Church, Städte meistens, in die er sonst nie einen Fuß gesetzt hätte, Städte, wo er unter falschen Namen wie Jim Shaitan, Bill Sammael oder Jack Apollyon abstieg und in einer Kostümierung auftrat, in der er unter den Einheimischen nicht weiter auffiel. Dort führte er, assistiert von einem Team williger Mitarbeiter, für die Dauer von drei bis fünf Tagen Programmiersitzungen durch – gewöhnlich mit nicht mehr als zwei Personen –, bevor er ins wohltuende Klima der Pazifikküste zurückkehrte. Sein Sonderstatus brachte es mit sich, dass Ahriman als Anerkennung und Entschädigung für seine Dienste als einzigem Mitglied der Gesellschaft von den Vorständen das Recht eingeräumt wurde, seine Fähigkeiten auch im privaten Interesse einzusetzen.
Einmal hatte ein anderer am Projekt beteiligter Psychologe – ein junger deutschstämmiger Amerikaner mit dem für amerikanische Ohren unglücklichen Nachnamen Fugger – den Versuch gemacht, diese Ausnahmeregel heimlich auch einmal für sich in Anspruch zu nehmen, hatte sich aber dabei erwischen lassen, woraufhin ein Exempel an ihm statuiert wurde, indem man ihn vor den Augen seiner Programmierkollegen in handliche Stücke zerlegte und den gierigen Krokodilen in einem aufgepeitschten Tümpel zum Fraß vorwarf.
Da das Verbot der privaten Anwendung Ahriman nicht betraf, hatte man ihm keine Einladung geschickt, und er hatte erst im Nachhinein von der Strafaktion erfahren. Er hatte sein Leben so gestaltet, dass er nur wenig Grund hatte, irgendetwas zu bedauern, aber dass er Fuggers Abschiedsparty verpasst hatte, tat ihm in der Seele weh.
Jetzt fügte der Arzt, vor der Onyxplatte seines Schreibtischs sitzend, seiner Nachricht noch ein zweizeiliges Postskriptum hinzu, in dem er berichtete, dass der Schauspieler wie verlangt programmiert war und die Nase des Präsidenten schon bald mindestens eine Woche lang Thema Nummer eins in sämtlichen Medien sein würde, einschließlich der überaus klugen Kommentare von den üblichen Experten und von dem einen oder anderen führenden Nasologen.
Eine Gruppe übereifriger Ermittler, die derzeit im Auftrag des Weißen Hauses die weitreichende Aktivität gewisser geschäftstüchtiger Beamter im Wirtschaftsministerium unter die Lupe nahmen, würden zweifellos, innerhalb von vierundzwanzig Stunden nachdem das Riechorgan ihres Chefs wieder angenäht war, zurückgepfiffen werden, und die Staatsmacht würde sich wieder mit den Belangen ihres Volks befassen können.
Ahriman, stets Diplomat, hängte abschließend ein paar persönliche Worte an: einen Geburtstagsgruß an einen der Programmierer; eine Nachfrage nach dem Befinden des ältesten Kindes eines der Projektleiter, das an einer besonders schweren Grippeinfektion erkrankt war; und schließlich herzliche Glückwünsche an den technischen Mitarbeiter Curly, dessen Heiratsantrag von der Freundin angenommen worden war.
Er schickte das Schreiben per E-Mail an das Institut in Santa Fe, wobei er sich eines für die Öffentlichkeit nicht verfügbaren, absolut wasserdichten Kodierungsprogramms bediente, das eigens für die Gesellschaft und ihren Mitarbeiterstab entwickelt worden war.
Was für ein Tag.
Welche Höhen, welche Tiefen.
Um seine Stimmung zu heben und sich dafür zu belohnen, dass er im Angesicht solcher Widrigkeiten Ruhe und Besonnenheit bewahrt hatte, ging Ahriman in die Küche und mixte sich ein großes Glas Kirscheislimonade. Außerdem gönnte er sich einen Teller Mailänder Plätzchen mit Schokoguss der Marke Pepperidge Farm, die auch zu den Lieblingsnaschereien seiner Mutter gehört hatten.
*
Kreischende Sturmgespenster fuhren vom Himmel herunter, vom Boden heulten die Koboldschreie der Sirenen auf, dazwischen peitschend-brüllend die gemarterten Bäume, Palmen und Lorbeer-Fici, durch deren Zweige zerrissene Kaskaden glühender Funken stoben: Halloween im Januar oder ein Tag wie jeder andere in der Hölle. Jetzt barsten die Fensterscheiben im ersten Stock, und Glassplitter, in denen sich glitzernd das Feuer spiegelte, regneten klirrend wie eine unmelodische Klavierpassage in einer Partitur
Weitere Kostenlose Bücher