Stimmt's?
uns Markus Rothschild, Rechtsmediziner an der Freien Universität Berlin. Immer wieder gebe es Vorkommnisse dieser Art: Eine Leiche wird in der Klinik oder von einem Bestattungsunternehmen fachgerecht präpariert, wozu bei männlichen Toten auch eine Rasur gehört. Anschließend wird der Verstorbene in einem trockenen, gut gelüfteten Kellerraum gelagert. Und ein oder zwei Tage später hat er dann einen Stoppelbart, und die Angehörigen beklagen sich, der Verstorbene sei nicht richtig rasiert worden.
Tatsächlich sind in einem solchen Fall aber nicht die Haare gewachsen. In Wirklichkeit ist die Haut ausgetrocknet und eingeschrumpelt, und dadurch sind die vorher verborgenen Bartstoppeln sichtbar geworden. Bei diesem Vorgang handle es sich um eine Vorstufe der Mumifizierung, erklärt Rothschild, wie sie auch bei Toten zu beobachten sei, die lange in einer trockenen Wohnung gelegen hätten. Von Haarwachstum kann bei Toten keine Rede sein – mit dem Tod kommen alle Lebensprozesse zum absoluten Stillstand. Das sollte Basiswissen jedes Medizinstudiums sein – trotzdem glaubt die Hälfte der fortgeschrittenen Medizinstudenten, die etwa im neunten Semester in die Rechtsmedizin kommen, an die Wachstumslegende.
Hier könnte die Geschichte zu Ende sein, aber da tritt ein weiterer Berliner Wissenschaftler auf den Plan: Professor Manfred Dietel, Pathologe an der Charité. «Die Haare wachsen nach dem Tod kurze Zeit weiter», erklärt der. Denn Tod ist nicht gleich Tod: Während das Gehirn als Erstes stirbt (und der Hirntod wird heute als der «offizielle» Todeszeitpunkt angesehen), leben andere Zellen im Körper weiter. Bindegewebszellen, zu denen auch die haarproduzierenden gehören, können durchaus noch einige Stunden funktionieren.
Viel Haar, da sind sich die Experten einig, können diese Zellen im Todeskampf allerdings nicht mehr produzieren. «Das sehen Sie nicht», sagt uns eine dritte Stimme der Wissenschaft, der Rechtsmediziner Professor Helmut Maxeiner von der Freien Universität Berlin.
Auf jeden Fall gehören Geschichten ins Reich der Dichtung, wie sie der Schriftsteller Gabriel García Márquez in seinem Roman «Von der Liebe und anderen Dämonen» erzählt. Dort wird berichtet, wie das Grab eines Mädchens geöffnet wird, dem noch kurz vor dem Tod die Haare geschnitten worden waren. «Der Grabstein sprang beim ersten Schlag mit der Hacke in Stücke, aus der Öffnung ergoss sich, leuchtend kupferfarben, eine lebendige Haarflut.»
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Durch regelmäßiges Haareschneiden oder Rasieren wachsen die Haare stärker und schneller
Stimmt nicht. Zwar hoffen Jünglinge in der Pubertät, dass durch regelmäßige Rasur ihre Barthaare schneller wachsen und der Bart dichter wird. Diese Ansicht ist aber eine Legende, schreibt Professor Eberhard Heymann von der Universität Osnabrück in seinem Lehrbuch «Haut, Haar und Kosmetik». «Sie beruht auf der Beobachtung, dass bei jungen Männern der Bart zunächst als Flaum sprießt und in der Zeit, in der man sich üblicherweise zu rasieren beginnt, in sehr dicke Haare übergeht.» Das Barthaar wird also von selbst dicker, es scheint nur, dass die Rasur einen Einfluss darauf hat.
Jedes einzelne Haar am Körper durchlebt einen Zyklus: Zunächst sprießt es schnell, aber allmählich kommt das Wachstum zum Stillstand. Nach einer Ruhephase fällt das Haar aus, und ein Neues wächst nach. Von den hunderttausend Haaren auf unserem Kopf befinden sich immer 85 bis 90 Prozent in der Wachstumsphase.
Dieser Zyklus ist der Grund, warum wir uns zum Beispiel nichtdie Wimpern schneiden müssen: Ihr Zyklus beträgt nur hundert bis hundertfünfzig Tage, bei den Kopfhaaren kann er bis zu fünf Jahren dauern, in denen das Haar bis zu sechzig Zentimeter lang wird.
Das alles gilt unter der Annahme, dass das Haar nicht geschnitten wird. Weil das Haar aus toten Zellen besteht, «weiß» die Haarwurzel nicht, ob draußen ein langes Haar hängt oder nur ein paar Millimeter – sie durchlebt einfach ihren Zyklus, egal ob das Haar zwischendurch geschnitten wird.
Dass die Stoppeln etwa am Damenbein nach der Rasur kräftiger wirken, hat zwei Gründe: erstens rein mechanische – ein kurzes Haar ist steifer als ein langes. Zudem wird das Haar beim Rasieren immer an seiner dicksten Stelle abgeschnitten, die dann in vollem Umfang herauswächst – anders als die ungeschnittenen Flaumhaare, die zum Ende hin spitz verlaufen. Wer deshalb die Rasur bereut, braucht nur ein paar Monate zu
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