Stirb für mich: Thriller
sie.
»Mrs Marks?«, fragte die Stimme. »Können Sie mich hören?«
Das Wort »Ja« fiel aus ihrem Mund wie ein lockerer Zahn.
»Hören Sie aufmerksam zu. Ihre Tochter wurde entführt. Ich weiß, das ist ein Schock für Sie«, sagte die Stimme sanft, bevor ihr Tonfall wieder härter wurde. »Sie dürfen unter keinen Umständen zur Polizei gehen oder mit der Presse reden. Wenn wir annehmen müssen, dass Sie eins von beidem getan haben, werden Sie nie wieder von uns hören. Und, das meine ich sehr ernst, Mrs Marks, Sie werden Ihre Tochter nur im glücklichsten Fall überhaupt wiedersehen, und zwar erst einige Monate später und in einem Zustand der Verwesung, der den unglücklichen Wanderer, Landarbeiter oder Förster, der zufällig auf ihre Überreste stößt, für immer verfolgen wird. Haben Sie mich verstanden?«
»Keine Polizei, keine Presse«, wiederholte Isabel wie auf Autopilot.
»Sie dürfen mit Alyshias Vater darüber sprechen, was mit ihr geschehen ist, aber …«
»Was wollen Sie? Er wird das wissen wollen.«
»Nun, das ist nicht so leicht«, sagte die Stimme. »Das besprechen wir im Laufe …«
»Geld? Wollen Sie Geld? Wie viel Geld?«
»Ich wünschte, es wäre so unkompliziert und direkt. Natürlich nehmen die Reichen immer an, dass jeder nur ihr Geld will. Und dass die Entführung von jemand so Kostbarem wie Ihrer Tochter mit ein paar Verhandlungen im Laufe von einigen Tagen, schlimmstenfalls Wochen gelöst werden kann. Ich fange mit fünfzig Millionen an, Sie erwidern zwanzigtausend, und nach ein bisschen gutem alten orientalischen Gefeilsche einigen wir uns auf, sagen wir, eine halbe Million. Hier geht es nicht um Geld. Ich bin nicht so grob, von Ihnen zu verlangen, einen Preis für den Kopf Ihres eigenen Kindes auszuloben. Ihr Mann wird versuchen, unser kleines Unternehmen als rein finanziell motiviert abzutun, und es liegt an Ihnen, Mrs Marks, ihn davon zu überzeugen, die Sache sehr viel ernster zu nehmen.«
Die Art, wie der Mann mit ihr sprach, hatte eine seltsame Wirkung auf Isabel. Nach dem anfänglichen Schock, dem schrecklichen Gefühl eiskalter Beengung, hatten seine Redseligkeit und die Strenge seiner wohlformulierten Drohung ihren Kreislauf wieder in Gang gesetzt. Ihr Gehirn fing endlich an zu funktionieren.
»Kennen Sie meinen Exmann?«
»Frank D’Cruz ist dieser Tage so oft in den Nachrichten, dass man überall auf der Welt Menschen finden kann, die glauben, ihn zu kennen. Der Unterschied, Mrs Marks, ist, dass Sie ihn besser kennen als irgendjemand sonst.«
»Wirklich?«, fragte sie. »Wir sind seit zwölf Jahren geschieden, und die drei Jahre davor waren wir auch kaum zusammen.«
»Das passiert, wenn man sehr reich wird; man sorgt dafür, dass die Menschen einen so wenig wie möglich kennen. Das verschafft einem mehr Freiraum für Skrupellosigkeiten«, sagte die Stimme. »Noch eins, bevor ich auflege. Ich werde nur mit Ihnen sprechen. Verstanden? Niemand sonst ist akzeptabel. Nicht Ihr Mann, kein Freund und kein Anwalt. Nur Sie. Wenn irgendjemand anders ans Telefon geht, lege ich auf. Und beim dritten Fehlschlag sind Sie raus.«
»Was heißt das?«
»Wenn mehr als zweimal jemand anders als Sie ans Telefon geht, werden Sie Alyshia nie wiedersehen«, sagte die Stimme. »Auf Wiederhören, Mrs Marks.«
»Warten Sie«, sagte Isabel, selbst überrascht über den Gedanken, der ihr gerade gekommen war. »Woher weiß ich, dass Sie sie in Ihrer Gewalt haben? Das wird mein Exmann als Erstes fragen.«
»Kein gegenständlicher Beweis, obwohl ich sie morgen nicht zu Ihrer Lunch-Party erwarten würde.«
»Das reicht nicht.«
»Alyshia hat mich gebeten, Sie daran zu erinnern, dass sie ihre portugiesische Großmutter als kleines Mädchen immer vo-vó-voom genannt hat.«
Die Verbindung wurde unterbrochen, und Isabel Marks blieb mit dem Gefühl eines beidseitigen Lungenkollapses allein zurück.
VIER
Sonntag, 11. März 2012, 2.50 Uhr,
London
D ie Telefonate waren bereits im Gange, jedes komplizierter als das vorherige.
Das erste führte Frank D’Cruz mit dem Versicherungsagenten für besondere Risiken bei Lloyd’s of London, der ihm erklärte, dass die Gesellschaft nur zur Erstattung der Lösegeldsumme verpflichtet sei, wenn die Metropolitan Police über die Entführung seiner Tochter informiert würde. Es gab nicht viele Menschen, die Frank D’Cruz sagten, was er zu tun und zu lassen hatte. Deshalb galt sein nächster Anruf dem Wirtschaftsminister, um ihm unmissverständlich
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