Stirb schön
stolz aussehender Mann in Anzug und Fliege zu sehen und darunter standen die Worte FÜR EINEN GANZ BESONDEREN VATER!
Er klappte sie auf. » Für meinen liebsten Daddy. Mit ganz, ganz, ganz viel Liebe, deine J. XXXXX. «
Grace stellte die Karte zurück und trat an ein hohes Erkerfenster, von dem aus man auf den Hamble River blickte. Branson kam zu ihm, und sie schauten beide auf einen Wald aus Masten und Takelage hinunter, der zu einem Jachthafen am Ende des Grundstücks gehörte.
»Boote sind nicht mein Ding«, meinte Branson. »Hab mich auf dem Wasser nie richtig wohl gefühlt.«
»Obwohl du am Meer lebst?«
»Na ja, nicht direkt am Meer.« Dann klingelte sein Handy. »DC Branson. Ach, hallo, ja ich bin mit Roy in der Nähe von Southampton. Müssten gegen zwei wieder in Brighton sein. Besprechung um halb sieben, Anweisung von Roy, okay? Ja. Haben wir die zusätzlichen Leute bekommen? Bis jetzt nur einen? Wen denn? Scheiße, du machst wohl Witze! Nicht zu fassen, dass sie uns den Kerl angedreht haben. Roy wird ganz schön stinkig sein. Wir fahren von hier aus direkt in ihre Wohnung; Roy will, dass jemand in ihre Kanzlei fährt und mit dem Chef und den Kollegen redet. Okay, halb sieben. Bis dann.«
Branson steckte das Handy wieder ein. »Das war Bella. Wir haben nur einen Mann bekommen. Rate mal wen.«
»Spuck’s aus.«
»Norman Potting.«
Grace stöhnte. »Wird Zeit, dass er in Pension geht; er muss älter als Gott sein.«
»Die Damen waren auch nicht gerade begeistert.«
Detective Sergeant Norman Potting war Mitte fünfzig, ein Polizist der alten Schule, ganz und gar nicht politisch korrekt, ungeschliffen und nicht im Geringsten an einer Beförderung interessiert. Er hatte größere Verantwortung stets gescheut, wollte aber mit fünfundfünfzig nicht in Pension gehen, wie es bei einem Sergeant üblich gewesen wäre. Er hatte seinen Dienst verlängert, um weiter das zu tun, was er am besten konnte und als Buddeln und Bohren bezeichnete. Methodische Nachforschungen, das tiefe Eintauchen unter die Oberfläche eines Verbrechens, bis er auf eine verborgene Schicht stieß, die einen Fund versprach.
Immerhin konnte man Norman Potting zugute halten, dass er solide und zuverlässig arbeitete und Ergebnisse lieferte. Dabei verströmte er jedoch tödliche Langeweile und besaß die Gabe, sich bei jedem unbeliebt zu machen.
»Ich dachte, der hängt jetzt auf Dauer mit dem Antiterrorismustrupp in Gatwick rum«, sagte Grace.
»Offenbar hatten die auch genug von ihm. Konnten seine Witze vermutlich nicht mehr hören«, meinte Branson.
»Und Bella sagt, er stinkt nach Pfeifenrauch. Sie und Emma-Jane weigern sich, neben ihm zu sitzen.«
»Die armen Dinger.«
In diesem Augenblick kam Derek Stretton mit einem Tablett herein, auf dem drei Porzellantassen und ein Milchkännchen standen. Er stellte es auf den Gartentisch, bot ihnen einen Platz auf dem einen Sofa an und setzte sich gegenüber. »Sie sagten am Telefon, Sie hätten Neuigkeiten über Janie?«, fragte er Grace erwartungsvoll.
Hätte er doch nur die beiden Familienbetreuerinnen vorgeschickt.
25
TOM HATTE DEN GANZEN MORGEN nichts geschafft. Er saß vor einem Haufen unbeantworteter Mails, die sich auf dem Bildschirm stauten – immerhin funktionierte der Rechner wieder –, er hatte einige Anrufe erledigt wie auch eine Preisliste für Rolex Oyster Uhren studiert, ansonsten aber nur nachgedacht.
Sein Gehirn rotierte, brachte aber nichts Brauchbares zustande.
Ihn beschäftigte der Anruf von Chris, bei dem eingebrochen worden war.
Im Grunde scheint nur eins zu fehlen … die beschissene CD-ROM.
Andererseits kannte er die Wohnung von Chris, in der dieser auch sein Büro hatte und in der ein unglaubliches Chaos herrschte. Kein Problem, dort eine CD-ROM zu verlieren, die lagen überall zu Dutzenden herum.
Und doch: Hatte sich jemand die CD-ROM zurückgeholt? Hatte Chris Webb versucht, sie abzuspielen, und damit Alarm geschlagen?
Wäre die Sache erledigt, wenn der Besitzer – vermutlich der Vollidiot aus dem Zug – die CD-ROM wieder bekäme?
Würde er ihn heute Abend erneut im Zug sehen? Doch das bezweifelte Tom, da er seit Jahren pendelte und dem Mann nie zuvor begegnet war. Außerdem war er sich nicht sicher, was er ihm überhaupt sagen würde, oder ob er sich gar nicht trauen würde, den Mund aufzumachen.
Auch hatte er Kellie immer noch nichts von der Geschichte erzählt. Lieber Augen zu und durch. Es hatte ja keine Anrufe mehr gegeben, die Warnung war
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