Straße in die Hölle
ist einer, der hier plötzlich aufgetaucht ist, und woher er kommt, verrät er nicht. Sind das glaubwürdige Zeugen? Na also. Nur ich glaube ihnen. Und Sie, Senhor Carlos?«
»Ich glaube ihnen auch«, erwiderte Gebbhardt gepreßt.
»Dann wissen wir ja, wie wir zueinander stehen.« Bandeira gab Gebbhardt die Hand. »Ich bin froh, Sie kennengelernt zu haben. In dieser Hölle zählt ein Mensch wie hundert Engel!«
Am Abend lebten die drei Verstümmelten noch immer. Dr. Santaluz und Norina Samasina hatten noch einmal nachoperiert, hatten die schrecklichen Wunden mit Antibiotika behandelt, Penicillin gespritzt und weitere Infusionen gegeben. Jetzt lagen die Verletzten in sauberen Feldbetten im Zelt. Durch doppelte Moskitonetze waren sie vor den riesigen Mückenschwärmen geschützt, die vom Fluß herübersurrten. Innerhalb der Moskitonetze saßen die Krankenpfleger und versorgten die Patienten mit frischem Sauerstoff, hielten ihnen die Atemmasken vors Gesicht und kontrollierten den Druck an den Manometern auf den kleinen Sauerstoffflaschen. Dr. Santaluz hatte bei der Zusammenstellung seines Hospitals an alles gedacht. Daß so etwas hier in den unberührten Urwald gekommen war, betrachteten die meisten wie ein Wunder.
Von der Bauleitung und den Männern um Luis Jesus Areras hörte man nichts. Man hatte das Unglück per Funk gemeldet, es wurde zur Kenntnis genommen und ohne Kommentar bestätigt. Jetzt flammten wieder überall die Feuer auf. Die Männer hatten sich in die verrotteten Zelte verkrochen, und das Essen aus der fahrbaren Küche war hinuntergeschlungen. Der Nachttrupp arbeitete weiter am Fluß. Er schlug die Brücke über das Wasser, und die großen, von Benzingeneratoren gespeisten Scheinwerfer erhellten die Baustelle mit gleißendem Licht.
Weiter! Weiter! Es ging um die Prämien. Mãe de Deus, wie weit ist es doch bis zum Rio Araguaia!
4
Gebbhardt , der in seinem Bauwagen saß und den Tagesbericht schrieb, blickte erstaunt auf, als sich die Tür öffnete. Im Halbdunkel erkannte er zunächst nichts, aber dann schälte sich aus der Dämmerung eine schmale Gestalt in engen Hosen und Pullover.
»Sie?« sagte er gedehnt. Sein Herz begann heftig zu klopfen. Er sprang auf. Beinahe hätte er in seiner Hast den Tisch umgeworfen. »An diesem Tag hören die Überraschungen nicht auf.«
»Reden Sie kein dummes Zeug, Senhor Carlos.« Norina Samasina kam näher und setzte sich auf den wackligen Stuhl. So blieb sie im Lichtkreis der kleinen Lampe.
»Ich bin ganz still und höre nur zu.«
Sie schlug die schönen langen Beine übereinander, und er bewunderte wieder ihre Brüste, deren Anmut durch den enganliegenden Pullover noch betont wurde. Das schwarze Haar hatte sie mit einem roten Band zusammengebunden. Wieder fragte sich Gebbhardt, ob ihm wohl je eine so schöne Frau begegnet war. Die vergangenen Stunden hatten sich in ihr Gesicht eingegraben. Es sah herber aus, aber dadurch reifer und noch geheimnisvoller.
»Die Verletzten werden überleben«, sagte sie.
»Gratuliere«, antwortete er.
Dann war wieder Stille zwischen ihnen. Sie sahen sich an, und das geheimnisvolle Feuer entbrannte sofort wieder zwischen ihnen. Aber keiner von beiden hatte den Mut, es zu zeigen.
»Warum arbeiten Sie hier?« fragte sie endlich.
»Eine deutsche Firma hat mich dafür empfohlen und beurlaubt. Vielleicht bekommt sie sogar Geld für mich – ich weiß es nicht.«
»Man hat Sie also auch verkauft?«
»Wenn man es so simpel sieht, sind wir alle verkauft.«
»Man muß es so sehen, Carlos.«
Sie ließ das ›Senhor‹ weg, und Gebbhardt spürte in sich ein unbändiges Glücksgefühl. Sie musterte ihn nachdenklich, und wenn sie wirklich ein persönliches Interesse verspürte, wußte sie es vollendet zu überspielen.
»Sie denken genau wie Santaluz«, sagte er.
»Wäre ich sonst mit ihm hier?«
»Sind Sie seine Freundin?«
»Was verstehen Sie darunter?«
Gebbhardt kaute an der Unterlippe. Sie gibt sich als Revolutionärin, dachte er. Dann darf sie keine Hemmungen kennen. Die Sprache der Revolution ist ungeschminkt, frei von bürgerlichen Schnörkeln. Sie hatte den herrlichen Kopf etwas zur Seite geneigt und sah ihn an, als betrachte sie ein Bild.
»Ich meine«, sagte er geradeheraus, »haben Sie mit Santaluz geschlafen?«
»Interessiert Sie das?« Sie war gar nicht beleidigt.
»Sehr.«
»Warum?«
»Wenn ein Mädchen freiwillig in diese Hölle geht, tut sie es aus Liebe, oder sie ist verrückt.«
»Ein Drittes gibt es
Weitere Kostenlose Bücher