Streiflichter aus Amerika
in Großbritannien ganz selbstverständlich zu Weihnachten gehören. In Amerika gibt es keine Weihnachtstheateraufführungen, keine Mincepies und selten Christmas Pudding. Am Heiligabend läuten keine Glokken und knallen keine Knallbonbons. Es fehlen die Doppelausgabe der Radio Times , Brandybutter, die kleinen Schälchen mit Nüssen. Und man hört nicht mindestens alle zwanzig Minuten »Merry Xmas Everbody« von Slade. Aber vor allem gibt es keinen zweiten Weihnachtsfeiertag, Boxing Day.
In den Vereinigten Staaten gehen am sechsundzwanzigsten Dezember alle wieder zur Arbeit. Ja, als wahrnehmbares Phänomen endet Weihnachten mehr oder weniger am Mittag des fünfundzwanzigsten Dezember. Im Fernsehen läuft nichts Besonderes, und die meisten Läden und Einkaufszentren öffnen nachmittags (damit die Leute all die Dinge umtauschen können, die sie bekommen, sich aber nicht gewünscht haben). Am sechsundzwanzigsten können Sie hier ins Kino oder zum Bowling gehen. Irgendwie finde ich das nicht recht.
Von einem zweiten Feiertag haben die meisten US-Amerikaner nie gehört. Übrigens, es mag Sie überraschen, aber Boxing Day ist eine ziemlich moderne Erfindung. Das Oxford English Dictionary kann den Begriff nicht weiter als bis ins Jahr 1849 zurückverfolgen. Seine Wurzeln gehen allerdings zumindest bis ins Mittelalter zurück, als es Brauch war, zu Weihnachten die Almosenkästen, die »boxes«, in den Kirchen aufzubrechen und den Inhalt an die Armen zu verteilen. Als Feiertag wird der Boxing Day erst seit dem letzten Jahrhundert begangen.
Ich persönlich mag den Boxing Day lieber als den ersten Feiertag, hauptsächlich, weil er sämtliche Vorteile des fünfundzwanzigsten Dezember besitzt (alle sind einander wohlgesonnen, man kann essen und trinken bis zum Abwinken und bei Tageslicht im Sessel dösen) und nicht die Nachteile wie zum Beispiel, daß man stundenlang auf dem Boden hockt und sich abrackert, um Puppenhäuser und Fahrräder nach Anleitung zusammenzubasteln, die in taiwanesisch beschrieben sind, oder sich falsche Dankbarkeitsbezeugungen gegenüber Tante Gladys für einen handgestrickten Pullover abringen muß, den nicht einmal Bill Cosby tragen würde. (»Nein, ehrlich, Glad, ich habe schon überall nach einem Pullover mit Einhornmotiv gesucht.«)
Ja, wenn es eines gibt, das ich aus England vermisse, dann Boxing Day. Das und natürlich das »Merry Xmas Everbody«-Gedudel. Von allem anderen mal ganz abgesehen, schätzt man dann den Rest des Jahres um so mehr.
Das Zahlenspiel
Der Kongreß der Vereinigten Staaten, der doch immer wieder für eine Überraschung gut ist, hat neulich beschlossen, dem Pentagon elf Milliarden Dollar mehr zu bewilligen, als es haben wollte.
Können Sie sich vorstellen, wieviel elf Milliarden Dollar sind? Natürlich nicht. Niemand kann das. Eine solch große Summe kann man sich nicht vorstellen.
Dabei stoßen Sie, wo immer es in Amerika und seiner Wirtschaft um Zahlen geht, auf immense Summen, die man nicht begreifen kann. Betrachten wir nur einmal ein paar Zahlen, die ich aus den Zeitungen des vergangenen Sonntags herausgeholt habe. Das Bruttoinlandsprodukt der Vereinigten Staaten beträgt 6,8 Billionen Dollar im Jahr, das Staatsbudget 1,6 Billionen. Das Staatsdefizit fast 200 Milliarden. Kalifornien allein hat ein Wirtschaftsaufkommen von 850 Milliarden Dollar.
Man verliert leicht aus dem Blick, wie ungeheuer groß diese Zahlen eigentlich sind. Die Gesamtschulden der USA lagen bei der letzten Bestandsaufnahme laut der Times »knapp« unter 4,7 Billionen Dollar. Der exakte Betrag betrug 4,692 Billionen, also ist gegen diese Aussage eigentlich gar nichts einzuwenden. Aber es handelt sich um eine Differenz von 8 Milliarden Dollar – ein »knappes« Sümmchen, über das sich mancher freuen würde.
Ich habe lange im Wirtschaftsteil einer überregionalen Zeitung in England gearbeitet und weiß, daß selbst die ausgefuchstesten Wirtschaftsjournalisten oft ganz irre werden, wenn sie mit Begriffen wie Milliarden und Billionen hantieren müssen, und zwar aus zwei sehr berechtigten Gründen: Erstens haben sie in der Mittagspause ziemlich viel getrunken, und zweitens machen einen solche Zahlen ja auch konfus.
Kern des Problems sind also diese riesigen Zahlen, die jegliches menschliche Begreifen übersteigen. Auf der Sixth Avenue in New York ist eine elektronische Anzeigentafel, die ein anonymer Stifter errichtet hat und unterhält. Sie nennt sich »Die Staatsschuldenuhr«. Als ich im
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