Strom der Sehnsucht
wich ihr aus dem Gesicht und schoß glutrot wieder hinein. Im Bewußtsein, daß alle Augen auf sie gerichtet waren, faltete sie krampfhaft die Hände im Schoß.
Rolf richtete sich auf. »Würdet Ihr mich den Damen vorstellen?«
Helene beeilte sich, diesem Ersuchen nachzukommen, und fügte ein wenig außer Atem hinzu, daß ihre Gäste Hofdamen in Versailles gewesen und gerade noch der Schreckensherrschaft entkommen wären.
»Aber natürlich«, sagte Rolf, lächelte warm und mitfühlend und beugte sich erst über die Hand der einen, dann der anderen Dame. »Es steht Euch ins Gesicht geschrieben. Der Schrecken kann überwunden werden, doch die Illusion von Sicherheit und Ordnung und das Vertrauen in die Menschheit sind unwiederbringlich dahin, und dieser Verlust läßt sich nicht leugnen.«
»Das ist ja meine Rede«, antwortete die ältere der beiden, und vor Entzücken röteten sich ihre weißen Wangen. »Man kann einen emigre leicht an den Augen erkennen.«
»Oder am Gesicht, dem Abbild vergangener Leiden, vergangener Freuden.«
»Das will ich nicht hoffen, Euer Hoheit!«
Hätte sie einen Fächer dabeigehabt, hätte ihn die würdige, französische Hofdame bestimmt in der Weise, die vor beinahe fünfzig Jahren Mode war, in Aktion gesetzt. Angeline beobachtete ungläubig, wie sich Rolf zwischen den beiden betagten Schwestern setzte und sie bald dazu brachte, wie junge Mädchen zu kichern und zu schwatzen, von ihrer hastigen Flucht aus Paris auf einem mit Kraut beladenen Karren zu erzählen und sich der Gegenwart des Prinzen zu versichern, indem sie mit behandschuhten Fingern seinen Arm berührten.
Er nahm sie völlig für sich ein, bezog mit viel Geschick und Salonfinesse auch Helene und Angeline in die Unterhaltung ein, erzählte witzige Anekdoten und führte einen lebhaften Schlagab-tausch. Bald waren die beiden Damen bereit, alles und jedes mit gedankenverlorener Billigung zu betrachten.
In einer Gesprächspause wandte sich Rolf an Helene. »Ich hatte gehofft, Euren Sohn vorzufinden.«
»Andre ist vorhin weggegangen. Er ist zu seinem Schneider, um seine Garderobe zu vervollständigen. Soll ich nach ihm schicken lassen?«
»Nein danke. Ich werde ihn ein andermal aufsuchen; vielleicht kann mir ja Mademoiselle Fortin meine Fragen auch beantworten. Dürfte ich sie unter vier Augen sprechen?«
»Ich... äh, Euer Hoheit, ich...« stammelte Madame Delacroix. Die Neigung, ein so höflich und selbstverständlich vorgetragenes Ersuchen zu bewilligen, kämpfte offenbar in ihr mit der Überzeugung, daß sie keiner jungen Dame unter ihrer Aufsicht erlauben konnte, mit einem Mann allein zu sein.
»Ich kann doch darauf verweisen, daß ich mit der jungen Dame bekannt bin. Wäre es nicht möglich, eine Ausnahme...«
»Mais Oui<<, erwiderte das Fräulein und hob die mageren Schultern, »das wissen wir. Man muß dennoch die Dehors wahren, versteht Ihr?«
»Aber vielleicht könnte man in diesem Falle«, beharrte Rolf in leichtem Ton, während sich seine Stirn in Falten legte, »einen königlichen Dispens erwirken?«
»Euer Hoheit, ich habe schon mit Prinzen in den Tuilerien Haschmich gespielt, als Ihr noch ein kleiner Cherubim im Himmel wart. Es gibt kaum ein Privileg, das mich überraschen - oder schockieren - würde, wenn Ihr Euch darauf beruft. Aber bedauerlicherweise sind wir hier nicht in Frankreich - oder Ruthenien.«
Angeline wußte, daß die Frage nach Andre ohnehin nur ein Vorwand war. Sie wollte aber nicht mit Rolf sprechen, mißtraute seinem formvollendeten Benehmen und seiner Höflichkeit und hatte nicht die geringste Lust, mit ihm allein zu sein. Sie räusperte sich und sagte kühl: »Vielleicht sollten wir uns für kurze Zeit an die andere Seite des Salons begeben?«
Rolf war nicht davon erbaut, konnte aber nichts anderes tun, als ihr zu einer Fensternische mit Samtvorhängen und Stores aus Spitze zu folgen, in deren Mitte eine Marmornymphe auf einem Postament stand. Von hier aus hatte man Aussicht auf den Garten.
Rolf richtete die dunkelblauen Augen auf sie. »Entehrung, Treubruch und bösartiger Klatsch. Du hattest es nicht leicht, seit wir uns begegnet sind.«
Das hatte sie nicht erwartet. »Es spielt keine Rolle. Hast du herausgefunden...«
»Natürlich spielt es eine Rolle!« Angesichts des unterdrückten Zorns, der aus seiner Stimme sprach, blieben ihr die Worte in der Kehle stecken. »Deine Wahlfreiheit ist eingeschränkt, und du mußt fürchten, wie eine Aussätzige behandelt zu werden, ohne
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