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Strom der Sehnsucht

Titel: Strom der Sehnsucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Blake
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offenbar hastig abgebrochenen Mahlzeit standen. Das hohe Deckengewölbe war mit rauchgeschwärzten Fresken in Pastelltönen bemalt, die Jagdszenen aus der klassischen Mythologie zeigten: Diana mit dem Bogen, und Daphne, die von Apoll verfolgt und in einen Lorbeerbaum verwandelt wird. Darunter verlief rundherum ein Fries aus Hirschgeweihen und Wildschweinhauern, und an den Wänden hingen mittelalterliche Wandteppiche über der weißen Tünche.
    Direkt gegenüber der Tür schwang sich eine Treppe mit ausladendem Eichengeländer in das Obergeschoß empor. Dorthin wandte sich der Prinz und stieg unter Mißachtung der derben Späße, die seine Gefolgsleute ihm zuriefen, sicheren Schrittes die hölzernen Stufen hinauf.
    Der Prinz trug sie ins erste Zimmer auf der rechten Seite, einen großen Raum, in dem ein Feuer brannte. Angeline erblickte einen riesigen Schrank, einen Sekretär, ein Tischchen und weitere Wandteppiche mit Waldszenen in leuchtenden Farben, Darstellungen von Füchsen, Hasen und Rehen, die zwischen Lorbeer und Stechpalmen spielten. Ein paar Stufen führten zu einem gewaltigen Himmelbett mit karmesinroten, golddurchwirkten Brokatvorhängen. Angeline schwanden die Sinne, als sie durch die Luft geworfen wurde und auf einer weichen, gefederten Matratze landete.
    Sie rollte sich auf die andere Bettseite, ließ sich zu Boden fallen und richtete sich auf. Atemlos und zerzaust sah sie sich nach einem
    Ausweg um. Der Prinz machte ein paar graziöse, lässige und scheinbar absichtslose Bewegungen, stand aber sofort zwischen ihr und der Tür und warf sie laut zu.
    Dann drehte er sich zu ihr um. Ein Lächeln stand ihm im Gesicht und strahlte aus den türkisblauen Augen. »Und nun, Mademoiselle«, sagte er, und in seiner Stimme schwang gefährliche Genugtuung, »laßt uns unter der dürftigen Larve der weiblichen Hüllen und dem spröden Deckmantel der Schicklichkeit nach der Wahrheit süßem Kern forschen.«

3
    Flammen beschienen orangerot die Wände. Sic waren die einzige Beleuchtung im Zimmer, seit das Kerzenlicht des Treppenhauses aus dem Raum verbannt war. Angeline fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen und starrte den Prinzen mit weit aufgerissenen Augen an. Der Wohlklang seiner Stimme und die herausfordernden Worte schwangen in ihr nach, als hätten sie eine Saite in ihrem Innern angeschlagen. Rolf von Ruthenien trat an das Tischchen vor dem Fenster, nahm die Zunderbüchse und schlug Feuer. Der Schein der Flamme fiel auf seine kräftigen, wohlgeformten Hände, während er die Wachskerzen in einem silbernen Kandelaber anzündete. Der Ring an seinem Finger schimmerte in der Farbe alten Goldes. Er war als romanisches Wolfshaupt mit fletschenden Zähne gearbeitet. Als das Gesicht des Prinzen angestrahlt wurde, traten seine Wangenknochen hervor, und in seinen Augen tanzten blaue Funken.
    Angeline atmete tief durch. »Es besteht keine Notwendigkeit, weiter nach der Wahrheit zu forschen. Ich mache sie Euch zum Geschenk. Ich bin nicht Claire! Ich heiße Angeline Fortin - das habe ich Euch doch schon vor fünf Stunden auf der Soiree gesagt!«
    »Ihr werdet verzeihen, daß ich Euch jetzt ebensowenig glaube wie vorhin.«
    »Euch verzeihen, daß Ihr mich der Lüge bezichtigt? Daß Euer
    Mißtrauen so weit geht, mich zu entführen? So großmütig bin ich nicht!«
    »Wenn Euch mein Betragen mißfällt, habt Ihr jederzeit die Möglichkeit, dem ein Ende zu machen. Ihr müßt mir lediglich erzählen, was Ihr über den Tod meines Bruders wißt.«
    »Ganz einfach.« Als er den Kopf hob, fauchte sie: »Ich weiß nichts darüber. Ich sagte Euch mehrmals, daß ich nicht diejenige bin, die Ihr sucht, sondern ihre Kusine!« So ruhig sie konnte, sprach sie weiter und erzählte ihm ihre Lebensgeschichte bis ins Detail. Sie begann bei ihrem Geburtsdatum, dem Namen ihrer Eltern und Großeltern und erklärte, daß ihre Mutter die Schwester von Claires Vater gewesen sei. Obwohl sich seine Miene vor Ungeduld verdüsterte, erzählte sie ihm weiter, auf welche Weise ihr Vater und ihre Mutter gestorben waren und welche Abmachung dazu geführt hatte, daß sie bei ihrer Tante wohnte. Schließlich erwähnte sie die seit jeher bestehende Ähnlichkeit mit Claire. Als sie geendet hatte, sah sie ihn erwartungsvoll an, doch sein Gesichtsausdruck war unverändert geblieben.
    »Ich beglückwünsche Euch zu Eurer Doppelgängerin. Sie muß Euch sehr gelegen kommen. Nimmt sie wie der imaginäre Spielkamerad eines Kindes auch die Schuld für alle

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