Strom der Sehnsucht
ohne dem kühlen Smaragdblick der anderen auszuweichen. »Erstens, warum hat mir niemand gesagt, daß du in jener Nacht mit dem Prinzen allein warst? Und wer könnte versucht haben, dich zu erschießen?«
Claire spähte verstohlen zu ihrer Mutter hinüber. »Ich sah keine Notwendigkeit, in schmutzige Details zu gehen. Ich... ich weiß nicht, ob ich mich überhaupt erinnern kann. Der Schock, als Max vor meinen Augen starb... als mich der Schuß traf! Da habe ich gedacht, ich muß sterben, und bin in Ohnmacht gefallen. Zum Glück war es nur ein Streifschuß.«
»Herzlichen Glückwunsch. Hatte eines der schmutzigen Details, das zu erwähnen du vergessen hast, beispielsweise damit zu tun, daß dein Nachthemd in Maximilians Bett gefunden wurde?«
»Angeline!« rief Madame de Buys. »Das reicht jetzt.«
Der Mund der Zofe war nur noch ein schmaler Strich, obwohl der Vorwurf sie nicht einmal zu überraschen schien. Ihre Mißbilligung galt offenbar Angeline, daß sie die Geschmacklosigkeit besessen hatte, das Thema anzuschneiden.
Aber diese blieb hartnäckig. »Wenn ich mich für Claire ausgeben soll, muß ich doch meine Vergangenheit genau kennen!«
Mit maskenhaftem Gesicht und scharfer Stimme fuhr ihre Tante dazwischen: »Ich denke, wir sind übereingekommen, daß so etwas nicht durchführbar wäre.«
Das war quasi ein Sieg. Angeline sah Claire an, aber von deren schönem Gesicht war keinerlei Unbehagen abzulesen. Wenn sie ihre Kusine wirklich in Verlegenheit gebracht hätte, würde sie es nachträglich vielleicht bedauert haben; doch die Anspielung auf ihre skandalöse Lebensweise störte die Tante mehr als die Tochter.
Schließlich brach Claire doch noch das Schweigen. »Es tut mir leid, daß Max tot ist. Ich... ich mochte ihn recht gern, trotz der Art und Weise, wie er... wie mit mir umgesprungen wurde. Und das Gerede von Selbstmord ist eine Lüge. Es war glatter Mord. Prinz
Maximilian von Ruthenien hatte nicht die Absicht, sich - oder mir -das Leben zu nehmen.«
»Was ist denn passiert?« Angeline konnte sich die Frage nicht verkneifen.
»Keine Ahnung. Ich weiß es wirklich nicht. Wir lagen uns in den Armen, da fiel er plötzlich in sich zusammen. Ich habe den Mündungsblitz gesehen und den Aufprall gespürt, als ich getroffen wurde, und dann - Finsternis. Als ich wieder zu mir kam, war Max tot, und ich... ich hatte nur einen Gedanken: Weg hier!«
»Genug!« sagte Madame de Buys mit Schärfe. »Jetzt, ma chere, müssen wir uns um ein Versteck für dich kümmern, bis dieser Wahnsinnige, der dich verfolgt, wieder abgereist ist.«
»Wenn ich mich hier verberge, reicht das nicht?«
Madame runzelte die Stirn über den dunklen Brauen. »Der Ansicht bin ich nicht. Ich habe mir die Sache durch den Kopf gehen lassen. Du brauchst einen Platz, wo du sicher bist und an dem es keinen boshaften Klatsch gibt; er sollte aber in der Nähe liegen, damit ich mich nach deinem Befinden erkundigen kann. Maria hat gerade eben in meinem Zimmer einen guten Vorschlag gemacht.«
»Und der wäre?«
»Bei den Schwestern in der Klosterschule.«
Claire hob die Brauen. »Das kann doch nicht Ihr Ernst sein!«
»Das ist mein Ernst. Die Schwestern werden dich aufnehmen und dir Schutz gewähren. Niemand dürfte es wagen, dich an so einer heiligen Stätte zu belästigen.«
»Da kennen Sie Rolf schlecht.«
»Ich wünsche auch nicht, ihn kennenzulernen«, erwiderte Claires Mutter. »Aber ich werde keine Rücksicht auf meine Gefühle nehmen. Wenn du erst fort bist, werden wir ihm die Tür öffnen, ihn auffordern, zu suchen und das Gesinde zu befragen. Nur Angeline, Maria und ich wissen, daß du da bist, wir gehen also kein Risiko ein.«
»Wenn ich aus dem Haus und ins Internat muß, wird das der Dienerschaft kaum entgehen«, wandte Claire spöttisch ein.
»Nicht, wenn du im Schutz der Dunkelheit fortgehst und den Waldweg nimmst.«
»Ich soll... durch den Wald gehen... mitten in der Nacht?« Ihre Tochter starrte sie verblüfft an.
»Richtig. Und zwar noch heute nacht. Angeline wird dich führen.«
»Das ist außerordentlich mutig von ihr.« Die Worte klangen sarkastisch.
»Der Pfad zur Klosterschule ist in den letzten Jahren viel begangen worden, da Angeline bei den Nonnen ihre Bildung vollendet und die jüngeren Schülerinnen unterrichtet hat. Wenn ihr hinkommt, wird sie als erstes die Mutter Oberin bitten, dich aufzunehmen. Angeline ist bei ihr sehr beliebt und kann Mutter Theresa bestimmt leicht dazu überreden.«
»Da bin ich ihr
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