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Stumme Zeugen

Titel: Stumme Zeugen Kostenlos Bücher Online Lesen
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spritzen. Er wusste nicht, auf welcher Straße er fuhr und in welche Richtung die Reise ging. Für ihn sah hier alles gleich aus; von dunklen Bäumen gesäumte Straßen, wie von Mauern, nasser Asphalt, nirgends Licht.
    Newkirk streckte ihm die Flasche entgegen. »Auch einen Schluck?«
    »Nein danke.«
    »Überlegen Sie es sich. Sie könnten einen gebrauchen.«
    Weil er Newkirk zum Reden bringen wollte, nahm Villatoro ihm schließlich doch die Flasche aus der Hand und trank einen kleinen Schluck. Der Whiskey schmeckte süßlich und brannte in seiner Kehle und auf seinen Lippen, die von der dünnen Luft und der intensiven Sonne aufgesprungen waren.
    »Fahren Sie rechts ran«, sagte Newkirk.
    »Hier? Warum?«
    »Tun Sie’s einfach, und steigen Sie aus.«
    Villatoro gehorchte. Auch Newkirk stieg aus. Beide ließen die Tür offen stehen. Will er fahren?, fragte sich Villatoro.
    »Beine spreizen und Hände auf die Motorhaube«, sagte Newkirk. »Sie kennen das ja.«
    »Das ist überflüssig …«
    »Tun Sie, was ich sage. Was Sie gleich hören, ist nur für Ihre Ohren bestimmt. Ich muss mich vergewissern, dass Sie kein Mikrofon und Aufnahmegerät dabeihaben. Oder eine Waffe.«
    »Ich bin im Ruhestand.«
    »Das behaupten Sie, ja.«
    Villatoro gehorchte und presste seine Handflächen auf
die nasse Motorhaube. Newkirk trat hinter ihn und filzte ihn von Kopf bis Fuß. Dann rollte er seine Socken herunter.
    »Was soll das?«
    »Ich muss sichergehen, dass sie kein Wurfmesser dabeihaben.« Newkirk richtete sich auf, befriedigt, weil Villatoro unbewaffnet war.
    Ein Wurfmesser?, dachte Villatoro. Der bloße Gedanke sagte eine Menge darüber, woher Newkirk kam. Während seiner gesamten Dienstzeit als Polizist hatte er nie daran gedacht, eine illegale Waffe zu tragen. Es war nicht notwendig. Aber Newkirk kam offensichtlich aus einer Welt, wo Wurfmesser an der Tagesordnung waren.
    »Sorry«, sagte Newkirk. »Musste sein.«
    Villatoro klemmte sich wieder hinter das Steuer und schaute auf die Uhr des Armaturenbretts. Er dachte an die Angestellte des Hotels, die unbedingt einen Drink mit ihm nehmen wollte, und fühlte sich mies, weil er sie warten ließ.

Newkirk trank einen weiteren Schluck und wischte sich mit dem Ärmel den Mund ab. »Scharfes Zeug, Mann.«
    »Sie wollen also reden?«, fragte Villatoro.
    Er spürte, wie Newkirk ihn von der Seite anstarrte. »Nein, ich wollte nur nicht allein trinken. Stellen Sie sich nicht so dumm an.«
    Villatoro enthielt sich eines Kommentars. Mach keinen Fehler, lass ihn einfach reden.
    Eine Weile herrschte Schweigen, während sie weiterfuhren. Newkirk trank und lehnte sich schließlich zurück. Villatoro konzentrierte sich auf die Straße.

    »Der beste Cop von allen wollte ich sein«, begann Newkirk. »Nicht, dass ich geglaubt hätte, ich könnte die Welt verändern, aber ich wollte meinen Job so gut wie möglich machen und für meine Familie sorgen. Aber am wichtigsten war mir, ein erstklassiger Cop zu sein. Wenn ich nach Hause kam, wollte ich in den Spiegel blicken und mir sagen können: ›Mann, du bist ein verdammt guter Bulle.‹«
    Villatoro nickte, während er wieder an der Lüftung herumspielte.
    »Wie alle anderen habe ich mich anfangs zu sehr bemüht. Wenn ich das Baby einer Cracksüchtigen sah oder Leute, die ihre Mitmenschen wie ein Stück Scheiße behandelten, ließ ich das zu sehr an mich herankommen. Ich glaubte, vernünftig mit diesen Leuten reden und ihnen zeigen zu können, dass sich jemand um sie kümmerte. Was ich dabei gelernt habe? Ich habe gelernt, dass es immer am besten ist, so viele wie möglich zu verhaften und dafür zu sorgen, dass sie hinter Gitter kommen. Die Erfahrung lehrt, dass vielleicht zehn Prozent von ihnen anständig wurden, auf mehr konnte ich nicht hoffen. Notfalls war es mir auch egal, wenn es nur fünf Prozent waren, solange ich nur meinen Job tat. Den Abschaum ins Gefängnis stecken, ihn von den anständigen Menschen fernhalten, das war mein Ziel. Und ich habe ganze Arbeit geleistet, obwohl auf den Straßen von L. A. Krieg herrschte. Sie haben keine Ahnung, wie es da aussah.«
    »Nein.«
    »Aber über diese Dinge kann man mit niemandem reden, außer mit anderen Cops«, fuhr Newkirk fort. »Man kann nicht nach Hause kommen und sagen: ›Hallo, Maggie, was
hast du heute gemacht? Warst du shoppen? Wie war’s in der Schule, Josh? Dad hat einen interessanten Tag hinter sich. Heute hat er in einem Müllcontainer die Leiche eines elf Monate alten Babys

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