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Stumme Zeugen

Titel: Stumme Zeugen Kostenlos Bücher Online Lesen
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Werte dieses Landstrichs verkörpert. Die Werte, die galten, bevor sich hier alles verändert hat.«
    Er blickte sie irritiert an. »Alt bin ich, da haben Sie recht.«

    Als er vor seinem Haus vorfuhr, bat er Monica, noch einen Augenblick in dem Pick-up sitzen zu bleiben.
    Sie wollte protestieren.
    »Hören Sie, da drin wartet Annie mit einer Schrotflinte. Ich habe ihr gesagt, sie darf die Tür erst öffnen, wenn sie ganz sicher ist, dass ich es bin. Ich möchte nicht, dass sie in Panik gerät und ihre eigene Mutter erschießt.«
    Monica fiel die Kinnlade herunter. »Annie hat eine Schrotflinte?«
    Plötzlich musste er lachen.
    »Was ist denn so komisch?«
    »Ich kann es nicht sagen.«
    »Was?«
    »Als Sie fragten, musste ich an das Musical Annie Get Your Gun denken. Ich weiß nicht, warum, aber irgendwie fand ich das lustig.«
    »Im Moment finde ich es gar nicht lustig«, sagte sie, aber mit einem ironischen Unterton, den er mochte.
    Jess klopfte energisch an die Tür. »Annie und William, ich bin’s. Ich habe eure Mutter mitgebracht.«
    Aus dem Augenwinkel sah er, wie im Wohnzimmer die Vorhänge zurückgezogen wurden und Williams Gesicht auftauchte. Zuerst war sein Blick vorsichtig, doch dann lächelte er, als er seine Mutter in dem Pick-up sitzen sah.
     
    Monica sank weinend auf die Knie und schloss ihre Kinder in die Arme. Jess ließ die drei allein und ging in die Küche, um Kaffee zu kochen. Aus dem Nebenzimmer hörte er Annie und William durcheinanderreden. Beide wollten ihr von dem Mord erzählen, von Mr Swann und dem dunkelhäutigen
Mann. Und von Mr Rawlins, der sie beschützt hatte.
    Beim Kaffeekochen erinnerte Jess sich an die Schrotflinte. Er ging ins Wohnzimmer, um sie zu holen. Die Taylors hatten es sich auf dem Sofa bequem gemacht. William hatte den Kopf in den Schoß seiner Mutter gelegt, Annie saß neben ihr und redete ohne Punkt und Komma. Das Mädchen war wirklich nicht auf den Kopf gefallen. Monica wirkte anders, sie strahlte eine innere Zufriedenheit aus. William erinnerte eher an ein Kleinkind, doch es schien ihn nicht zu stören, wenn Jess sah, dass er sich an seine Mutter klammerte, als wollte er sie nie mehr loslassen. Allein wegen dieses Bildes hatte es sich gelohnt, Swann zusammenzuschlagen.
    Er stellte die Schrotflinte neben die am Küchentisch lehnende Winchester und fragte sich, ob Monica ihren Kaffee mit Zucker oder Sahne trank. Falls Letzteres zutraf, hatte sie Pech, denn es war seit vier Jahren keine Sahne mehr im Haus.
    Als es im Wohnzimmer stiller wurde, hörte er, dass der Regen nicht mehr auf das Dach trommelte. Er zog den Vorhang hinter der Spüle zur Seite und schaute nach draußen. Die Wolken hatten sich verzogen, und in den Pfützen auf dem Hof spiegelten sich die Sterne. Dahinter begann die schlammige, zu dem verschlossenen Tor führende Straße. Vor seinem geistigen Auge sah er Gonzales, der auf seiner Veranda stand, dann Swann, wie er blutverschmiert hinter Monica Taylors Sofa lag. Und es gab noch zwei andere Männer, die an dem Mord beteiligt gewesen waren, den Annie und William gesehen hatten.
    Die Kette und das Vorhängeschloss am Tor waren kein
Hindernis für vier Excops, die bereits einen Mord begangen und seitdem die Ermittlungen manipuliert hatten, weil die Kinder Zeugen der Exekution geworden waren. Diese vier Männer hatten die örtliche Polizei nicht nur infiltriert, sondern praktisch ausgeschaltet. Und die Dinge selbst in die Hand genommen.
    Er bemerkte, wie ihn jemand sanft anstieß. Neben ihm stand Annie, die zu ihm aufblickte.
    Da er kein Wort herausbrachte, strich er ihr sanft übers Haar und legte seine Hand unter ihr Kinn.
    »Ich bin so glücklich, dass unsere Mutter hier ist«, sagte sie. »Vielen Dank, dass Sie sie mitgebracht haben. Ich bin froh, dass alles vorbei ist.«
    Jess spürte, wie ihm Tränen in die Augen stiegen. Es ist nicht vorbei, Annie, dachte er. Noch lange nicht.

Sonntag, 21.36 Uhr
    In dem Auto roch es nach Bourbon, Regen und verbranntem Staub aus der Heizung, die eine Weile nicht benutzt worden war. Villatoro versuchte, sie so einzustellen, dass die Scheiben nicht beschlugen. Neben ihm saß Newkirk. Nass, betrunken, aufgeregt.
    »Da entlang«, hatte er mit einer Kopfbewegung nach links gesagt, als sie das Ende der Zufahrtsstraße von Rodales Haus erreichten. Er hielt eine Flasche Wild Turkey in der Hand, die er aus seiner Jacke hervorgezaubert hatte. Villatoro warf das Lenkrad herum und hörte das Wasser von
den Reifen an das Fahrwerk

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