Stumme Zeugen
überflog, ließ die Enttäuschung nicht lange auf sich warten. Vor ihm lagen Dienstpläne, Listen mit Namen des Sicherheitspersonals der Rennbahn in Santa Anita, Zeitungsausschnitte aus der L. A. Times und Polizeiberichte, die er schon ein Dutzend Mal gelesen hatte.
Gut, Newkirk hatte an jenem Tag auf der Rennbahn gearbeitet, zusammen mit drei anderen Polizisten. Es war üblich, dass die Betreiber Polizisten verpflichteten, die dienstfrei hatten, wenn Rennen stattfanden, und Newkirk war regelmäßig mit von der Partie. Er überflog Newkirks schriftliche eidliche Erklärung, die er ebenfalls schon einmal gelesen hatte. Deshalb war ihm auch der Name bekannt vorgekommen. Officer Newkirk versicherte, beim Zählen des Geldes durch das Personal habe es keine Unregelmäßigkeiten gegeben. Alles sei Routine gewesen, er habe der Prozedur zuvor schon Dutzende von Malen zugeschaut. Das Geld sei gezählt und mit Banderolen versehen worden, ein Angestellter habe die Seriennummern ausgewählter Hundertdollarscheine registriert, und dann seien die Banknoten in Säcke gestopft worden. Er habe die Männer in den Geldtransportern gekannt, ein paar scherzhafte Beleidigungen und Nettigkeiten mit ihnen ausgetauscht und dann beobachtet, wie sie mit dem Beginn des letzten Rennens losgefahren seien.
Das war wirklich nicht sensationell. Dass Newkirk am Tag des Raubüberfalls auf der Rennbahn gearbeitet hatte und heute in Kootenai Bay lebte, war interessant, bewies aber gar nichts. Er blickte auf die Namen der anderen drei Cops, die an jenem Tag dienstfrei gehabt hatten. Anthony Rodale, Pam Gosink, Maureen Droz - ein Polizist, zwei Polizistinnen.
Die Namen sagten ihm nichts, er sah keine Verbindung zu seinem Fall.
In einigen der von Celeste gefaxten Dokumente tauchte der Name Singer auf. Lieutenant Singer hatte bei diesem Fall die Zusammenarbeit zwischen dem LAPD und dem California Department of Criminal Investigation koordiniert. Gelegentlich war er in der Times mit den Worten zitiert worden, die Ermittlungen machten Fortschritte. Und es war Singer gewesen, der bei einer Pressekonferenz bekannt gegeben hatte, ein Angestellter der Rennbahn habe Namen von Kollegen genannt, die bereits verhaftet worden seien. Später wurde Singer mit den Worten zitiert, er müsse »mit aufrichtigem Bedauern« den Tod des wichtigsten Zeugen verkünden, der bei einem Überfall auf einen Supermarkt ermordet worden sei, wobei jedoch eine Beziehung zu dem Raub der Wetteinnahmen auszuschließen sei. Villatoro war Singer nie persönlich begegnet. Der Lieutenant war unnahbar und immer zu beschäftigt gewesen, um seine Polizisten nach Arcadia zu begleiten. Und Villatoro erinnerte sich an noch etwas. Die Detectives aus L. A., die sich über alles und jeden lustig machten, hatten nie Witze über Lieutenant Singer gerissen.
Singer und Newkirk standen auf unterschiedliche Weise mit dem Fall Santa Anita in Verbindung, und heute lebten beide in North Idaho. Das hörte sich aufregend an, doch je länger er darüber nachdachte, desto mehr ließ sein Enthusiasmus nach. Ja, vielleicht war es ein bisschen mehr als ein bloßer Zufall. Aber wie viele Polizisten waren damals an den Ermittlungen im Fall Santa Anita beteiligt gewesen? Hunderte. Und wie viele Excops waren nach »Blue Heaven«
gezogen? Ebenfalls Hunderte. Der Name Swann war bis jetzt noch in keinem der Dokumente aufgetaucht.
Er lehnte sich auf dem unbequemen Stuhl zurück und starrte an die Decke. Wahrscheinlich war es möglich, mit Newkirk und Singer zu sprechen. Vielleicht würde er etwas mehr aus ihnen herausbekommen. Aber er erinnerte sich an Newkirks misstrauische Miene und ließ die Idee fallen. Da er keine offizielle Funktion mehr hatte, konnte er die beiden nicht zwingen, mit ihm zu reden. Und bisher hatte er nicht genug Informationen, um den Sheriff zu bitten, sie unter Strafandrohung vorzuladen. Ehemalige Polizisten kannten die Gesetze. Die beiden würden sich sofort einen Anwalt nehmen, um jede Befragung hinauszuzögern oder ganz zu verhindern. Sie konnten auf Zeit spielen; er musste zurückreisen, während sie hierbleiben würden. Singer und Newkirk wussten, wie dieses Spiel gespielt wurde.
Wieder verstörte ihn die Vorstellung, dass Polizisten auf die schiefe Bahn geraten konnten. Seiner Erfahrung nach kam es so selten vor, dass man einen wirklich schlechten Menschen unter ihnen fand. In Los Angeles, einer Stadt mit dreieinhalb Millionen Einwohnern, gab es 9350 Polizisten. Wie viele von ihnen waren
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