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Sturmjahre

Sturmjahre

Titel: Sturmjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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frostigem Blau leuchtete, machte Freddys Genesung langsam, aber sicher Fortschritte. Als der November kam, konnte er endlich sein Bein wieder belasten und ohne Hilfe in der Wohnstube umherhumpeln, und er hatte sich rettungslos in Samantha verliebt. Wie übrigens auch der alte Isaiah Hawksbill.

9
    Samantha stellte das Tablett mit dem Tee, den warmen Brötchen und der Johannisbeermarmelade auf den Tisch beim Kamin. Freddy stocherte mit dem Schürhaken im Feuer herum und sah ihr zu, während sie Zucker in die beiden Tassen gab.
    »Wo ist denn der Alte?« fragte er.
    »Ysop kaufen gegangen. Wir haben alles für dein Bein verbraucht. Jetzt muß er neues besorgen.« Samantha setzte sich in einen der Sessel, denen sie schon vor Monaten die Leintücher abgezogen hatte, und stellte ihre Füße auf das Fußbänkchen. »Komm, Freddy, der Tee ist fertig.«
    Freddy stellte den Schürhaken weg und humpelte zum anderen Sessel. Die Bretter zum Schienen der Knochen waren inzwischen entfernt worden, aber das Bein war so verkrümmt, daß Freddy beim Gehen schlingerte wie ein alter Seebär.
    »Prima, der Tee. Ich hab’s mein ganzes Leben nie so gut gehabt, wie in den Monaten hier beim Alten. Tut mir richtig leid, daß ich ihm immer die Hundekacke an die Haustür geknallt hab’.«
    Samantha lächelte.
    »Sam, ich muß dir was sagen.«
    Sie starrte weiter ins Feuer.
    »He, Sam, schau mich an.«
    {61} Sie hob den Blick. Freddys hübsches Gesicht mit der hohen Stirn und den tiefliegenden braunen Augen war von der Röte des Feuerscheins übergossen und auf seinem nußbraunen, immer zerzausten Haar spielten rötliche Lichter.
    »Was ist denn, Freddy?«
    »Sam, ich muß fort.«
    Einen Moment lang starrte sie ihn erschrocken an, dann stellte sie die Teetasse nieder. »Warum?«
    »Weil’s an der Zeit ist. Ich bin jetzt fünf Monate hier und praktisch wieder ganz gesund. Ich kann für mich selber sorgen. Es wird Zeit, daß ich geh’.«
    Sie sah ihn bestürzt an. »Wie meinst du das?«
    »Ich muß weg von hier. Weg aus dem Viertel.«
    »Aber das kannst du nicht. Das brauchst du doch gar nicht, Freddy. Du kannst so lange hierbleiben, wie du willst. Für immer. Mr. Hawksbill mag dich.«
    »Ja, aber ich will hier nicht bleiben. Es wird Zeit, daß ich selber was auf die Beine stell’.«
    »Ich versteh’ dich nicht –«
    »Jetzt hör’ mir mal zu, Sam.« Er neigte sich zu ihr und nahm impulsiv ihre Hand. »Ich bin dem Tod gerade nochmal von der Schippe gesprungen, Sam. Ich war schon mit einem Bein drüben auf der anderen Seite. Wenn du nicht gewesen wärst, hätt’s mich bestimmt erwischt. Und dadurch hab’ ich jetzt zum erstenmal was begriffen. Daß ich selber meinen Weg machen muß; daß ich was werden muß. Verstehst du, Sam, ich bin kein kleiner Junge mehr. Ich bin erwachsen, und ich kann nicht den Rest meines Lebens auf der Straße leben und Äpfel klauen. Ich brauch’ eine richtige Arbeit, damit ich mir ein richtiges Leben aufbauen kann.«
    »Aber ich will nicht, daß du fortgehst, Freddy«, rief sie mit Tränen in den Augen. »Du bist doch der einzige, den ich hab’.«
    »Unsinn, Sam. Du hast deinen Papa und Mr. Hawksbill und deinen Bruder, der bald ein vornehmer Doktor ist. Außerdem verschwind’ ich ja nicht für immer, Sam. Ich komm’ zurück. Schneller als du glaubst, warte nur.«
    »Aber wohin willst du denn?« fragte sie weinend.
    »Ich weiß noch nicht, aber wenn ich das Richtige gefunden hab’, merk’ ich’s bestimmt. Ach, Sam.« Ungeschickt und ein bißchen verlegen streichelte er ihre kleine Hand. Er hätte ihr gern noch viel mehr gesagt – daß er erkannt hatte, daß er für ein Mädchen wie Samantha nicht gut genug {62} war, daß er ein Mensch werden wollte, auf den sie stolz sein konnte, daß er sie liebte und für sie sorgen wollte –, aber er hatte nicht den Mut, ihr das alles zu sagen; darum blieb es unausgesprochen.
    »Schau mal, Sam, du hast vom lieben Gott die Gabe mitgekriegt, andere gesund machen zu können. Wie damals die alte Tigerkatze. Als ich da auf dem Sofa lag, hab ich oft geträumt, daß du mit mir redest und daß du durch einen dicken Nebel, der mir die Luft abschnürte, auf mich zukämst und mich bei der Hand nähmst, um mich rauszuziehen. Ich weiß jetzt, daß das keine Träume waren, sondern daß es wirklich passiert ist. Du hast mir das Leben gerettet, Sam, und das werd’ ich nie vergessen.«
    Sie umschlang Freddy mit ihren mageren Armen. »Du bist doch mein einziger Freund, Freddy! Ohne

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