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Sturmkönige 03 - Glutsand

Sturmkönige 03 - Glutsand

Titel: Sturmkönige 03 - Glutsand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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der Dunkelheit jemand berührte. Eine schmale Hand. Abrupt hob er den Kopf, hatte das Gefühl, dass man ihm einen fürchterlichen Schlag versetzte, und versuchte dennoch, sich aufzusetzen. Es gelang ihm nicht. Schmerz lag wie eine unsichtbare Last auf seiner Stirn, presste ihn zurück auf hartes Gestein.
    Die Finsternis war nicht wirklich, das erkannte er jetzt. Einen schrecklichen Moment lang war er überzeugt, dass sie ihn geblendet hatten. Er versuchte, sich zu erinnern, einen Anschein von Ordnung über die vagen Bilder und Eindrücke zu legen, die wie Blitze durch die Schwärze zuckten.
    Die verfallene Zikkurat am Ufer des Tigris. Das Sklavenmädchen, das ihn verraten hatte. Die Dschinnfürsten hoch oben in einem Saal der Turmruine. Der gefangene Jibril unter der Decke. Dann die peitschenden Lichttentakel, die Eruption aus Gewalt und Tod. Das Ende der beiden Fürsten und schließlich der Junge, der ihm anbot, mit ihm zu fliehen. Aber Junis hatte Jibril nur verflucht und war stattdessen dem Mädchen die Rampe hinuntergefolgt. Geradewegs in die Arme einer Heerschar Dschinne.
    Sie hatten das Mädchen nicht angerührt. Hatten nur einen Bogen um sie gemacht, waren auf Junis zugeströmt und hatten ihn unter der Wucht ihres Ansturms begraben. Sie hatten ihn gepackt, entwaffnet, geschlagen.
    Die schmalen Hände berührten erneut seine Wangen. Er riss den Kopf herum, wollte ihnen ausweichen, weil er wusste, wem sie gehörten. Dass sie es war, die ihn ausgeliefert hatte, weil sie zu ihnen gehörte, die ganze Zeit über schon.
    Nur ein Mädchen. Höchstens vierzehn.
    Eine eingeschleuste Verräterin in den Pferchen.
    Ihre Finger tasteten weiter über sein Gesicht, zerrten an etwas, einer breiten Augenbinde aus Stoff- und dann kehrte das Licht zurück, gleißende Helligkeit, und wenn sie ihn nicht zuvor geblendet hatten, dann taten sie es jetzt, denn das Licht war schlimmer als die Dunkelheit, weil es schmerzte, seinen Schädel durchbohrte, seinen Verstand verbrannte mit seiner lodernden Intensität.
    »Stell dich nicht so an«, sagte sie. »So schrecklich ist es nun auch wieder nicht.«
    Aber es war schrecklich, was redete sie da nur, sie wusste doch nichts darüber, was in ihm vorging und was das Licht ihm antat, und er meinte einmal mehr zu begreifen, wie Tarik sich fühlen musste, wenn Helligkeit in sein Auge unter der Lederklappe fiel, und er dachte, dass er so vieles falsch gemacht hatte, früher in Samarkand, als er seinen Bruder verachtet hatte, und sogar später noch, eben noch, als er mit Jibril hätte fliehen können und einmal mehr seinen dummen Gefühlen gefolgt war, statt über seinen Schatten zu springen und das Angebot anzunehmen.
    »Sie wollen dich sehen.« Das vernarbte Gesicht des Sklavenmädchens schälte sich aus dem Licht. Er wollte ihren Augen nicht ausweichen, dem Vorwurf, der noch immer darin brannte wie eine kalte Flamme, aber er konnte nicht anders, weil die scheußliche Narbe ihn ablenkte, dort, wo einmal ihr Ohr gewesen war. Er sah die Verstümmelung zum ersten Mal bei Tageslicht, erschüttert über die brutale Gewalt, mit der vor langer Zeit ihre Ohrmuschel abgerissen worden war, zusammen mit einem dreieckigen Hautfetzen, der von ihrer Schläfe hinab bis weit auf die Wange reichte. Dieses Kind hatte Qualen erlitten, die er sich noch immer kaum vorstellen konnte, und wer zum Teufel war er, ein Urteil über sie zu fällen, nach allem, was sie durchgemacht und auf sich genommen hatte, nur um am Leben zu bleiben in einem Pfuhl aus Tod und Gewalt und Missachtung allen Menschseins.
    Dann erinnerte er sich, warum sie ihn verraten hatte, und da dämmerte ihm, dass vielleicht ihre Seite die richtige war und er auf der falschen gestanden hatte, vom ersten Tag an, seit er beschlossen hatte, bei den Sturmkönigen zu bleiben, um irgendwann einer von ihnen zu werden.
    »Es… tut mir leid«, brachte er röchelnd über die Lippen.
    Sie schüttelte den Kopf. »Dazu ist es zu spät.«
    »Was ist passiert?«
    »Der Junge… dein Freund«, sagte sie verächtlich, »ist auf seiner Flucht mitten durch die Pferche gerast. Sein Wirbelsturm hat -« Sie stockte, brach ab, setzte abermals an: »Sein Sturm hat viele getötet.«
    Sein Inneres krampfte sich zusammen. »Wie viele?«
    Sie gab keine Antwort.
    »Wie viele?«, fragte er erneut.
    »Niemand hat die Sklaven jemals gezählt. Wie viele vorher in den Pferchen waren und wie viele danach…« Sie schüttelte den Kopf, ohne ihren Blick von seinem zu lösen.
    »Hundert

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