Sueße Verfuehrung an der Cote d'Azur
kürzer als im Sommer, doch es war noch ebenso widerspenstig wie damals. Der Ausdruck seines aristokratisch geschnittenen Gesichts wirkte kühler als in der Villa, und er hatte abgenommen. Arbeitete er zu viel? War er krank? Hatte er Sorgen?
Die Neuigkeit, die er eben erfahren hatte, musste ihn empfindlich getroffen haben. Sie sah ihm die Erschütterung an. Wie gern hätte sie die Hand nach ihm ausgestreckt und ihn getröstet. Doch er wirkte so unnahbar und streng. Vor allem seine Augen hatten sich in den wenigen Monaten verändert. Sie lächelten nicht mehr.
„Also, was hast du zu deiner Entschuldigung vorzubringen, Michelle?“
Wieso? Trugen sie nicht beide die Verantwortung? Trotzig hob sie das Kinn. „Was denn, zum Beispiel?“
Als er nicht reagierte, wurde sie zornig. „Du hast mein Vertrauen missbraucht, Alessandro. Du bist wortlos gegangen. Du hast mich allein gelassen mit all den Fragen, was eigentlich passiert ist mit uns. Seitdem du getürmt bist, bemühe ich mich, dich zu vergessen.“
Er räusperte sich. „Damit kannst du nun aufhören. Ich möchte keine Schlagzeilen lesen, in der die verführte Jungfrau darüber klagt, dass der böse Millionär sie schwanger sitzen gelassen hat. Ich habe genug Ärger mit der Presse. Letztes Jahr musste ich eine Zeitung verklagen, weil sie mir eine Affäre mit der Frau eines geschäftlichen Mitkonkurrenten nachgesagt hat. Seitdem sind die Klatschreporter erst recht hinter mir her. Nein, wir werden das Ganze zu einem guten Ende bringen. Zu einem spektakulär glücklichen Ende. Ich lasse nicht zu, dass mein Unternehmen durch eine schlechte Presse in Mitleidenschaft gezogen wird.“
Michelle fühlte sich vor den Kopf gestoßen. Glaubte er wirklich, dass sie sich mit ihrem Unglück an die Öffentlichkeit wenden könnte, um etwas für sich herauszuschlagen? Der Gedanke war so abwegig, seine Befürchtung so beleidigend, dass sie Angst davor bekam, was er vorhatte. Denn er hatte etwas vor. Das sah sie ihm an.
Er griff in seine Jacketttasche, zog das Handy hervor und führte auf Italienisch ein quälend langes Gespräch.
„Meine Leute werden den Medien einen Tipp geben, dass ich hier bin, um dich zu treffen. Wir bieten ihnen Gelegenheit zu fotografieren und geben eine Pressemitteilung heraus. Das wird für eine Weile reichen.“
„Wird in der Erklärung auch stehen, warum du den Kontakt zu mir abgebrochen hast, nachdem …“
Sie verstummte, weil er die Augenbrauen hochgezogen hatte. Drohend? Verächtlich? Sie wusste es nicht. Äußerlich blieb er ruhig, als hätte er nichts als eine Geschäftsangelegenheit zu regeln. „Ich habe dir schon in Frankreich nicht verheimlicht, dass ich nur Entspannung suchte und keine Verpflichtungen.“
Seine Stimme klang hart und selbstgerecht. Er richtete die Krawatte, zog die Ärmel aus dem Jackett und prüfte die Manschettenknöpfe. Der Geschäftsmann Alessandro Castiglione präparierte sich für den nächsten Coup, indem er sich zumindest äußerlich unangreifbar machte. War das der Mann, der sie auf „Jolie Fleur“ betört hatte? Sie forschte in seinem Gesicht nach einer Erklärung und fand sie nicht.
„Auch für dich ist es das Beste, Michelle, wenn die Lästermäuler zum Schweigen gebracht werden.“ Das klang schon ein bisschen versöhnlicher.
Sie machte einen Schritt auf ihn zu. „Warum hast du nicht wenigstens angerufen?“, fragte sie leise. Und plötzlich überwältigte sie wieder die Erinnerung an die schöne gemeinsame Zeit und der Schmerz über den Verlust. „Du hast mich verlassen, Alessandro.“
Er blickte zur Seite. „Du bist auch nicht sehr fair mit mir umgegangen.“
„Ich konnte nicht anders.“
„Aber ich kann anders. Und werde es tun.“
Doch zu der Bestimmtheit, mit der er das sagte, wollte sein Gesichtsausdruck nicht passen. Und plötzlich fühlte Michelle, dass sich der Alessandro, mit dem sie nächtliche Gespräche führen konnte, der im Morgengrauen im Pool schwamm und fantastisch zeichnete, dass ihr Alessandro sich hinter dem nüchternen, ja kaltschnäuzigen Geschäftsmann verbarg. Denn auf den wahren Alessandro reagierte sie noch immer mit Leidenschaft. Sie sehnte sich danach, ihn zu berühren, seine Wange zu streicheln …
Doch sie musste die Hände wieder auf den Mund pressen. „Oh, nein. Mir wird schon wieder schlecht.“
„Besser jetzt als später“, murmelte er. „Vor dem Mittagessen sind wir nicht in Italien.“
Michelle konnte nicht mehr fragen, was er meinte. Schon gar
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