Suesse Versuchung
Unfug anstellen.
Begleiten? Unfug?!
Er deutete mit dem Kopf hinter sich. Das ist keine besonders gute Gegend, um
alleine zu reiten. Es könnte leicht sein, dass ein paar Burschen auf die Idee kommen,
Ihnen Ihr hübsches Pferd wegzunehmen.
Sophie legte unwillkürlich die Hand auf Rosalinds Hals und presste ihre Wange an
das warme Fell. Pferdediebe?
Mörder, Schmuggler, Pferdediebe. Diese Gegend ist schon seit geraumer Zeit
verrufen. Sie sollten sich wirklich nicht hier herumtreiben. In Eastbourne ist nicht alles
so friedlich, wie es scheint.
Und was machen Sie dann hier, wenn es so gefährlich ist? Außer halbnackte Frauen
zu verfolgen, setzte sie beißend hinzu. Haben Sie keine Angst vor Pferdedieben?
Ich? Für Sekunden erschien ein kaltes Lächeln, das jedoch nicht seine Augen
erreichte, dann war sein Gesicht wieder gleichmütig. Nein, Bengelchen.
Warum sagen Sie immer Bengel zu mir?!, begehrte Sophie auf.
Nicht Bengel, korrigierte er sanft. Bengelchen. Mögen Sie den Ausdruck nicht?
Die Frage wurde so schnell gestellt und von einem verwirrend charmanten Lächeln
begleitet, dass Sophie keine Antwort einfiel. Mir gefällt er, und ich finde ihn
angemessen.
Sie ließ ihren Blick kühl über Lord Edward gleiten, in der Hoffnung, ihm dadurch ihr
Missfallen über den Bengel zu zeigen, und stellte fest, dass er auch im Reitanzug
keine üble Figur machte. Dabei wurde sie sich wieder seines Blickes bewusst, der sie
als Ganzes zu umfassen schien und wie ein Prickeln durch den Stoff ihrer Jacke und
Hosen ging. Sie entzog sich weiterer Musterung, indem sie etwas auf Schottisch
knurrte und sich umdrehte. Sie hielt sich mit beiden Händen am Sattelknauf fest,
stellte die linke Stiefelspitze in den Steigbügel und wollte sich hochziehen, als zwei
kräftige Hände sie erfassten und sie so mühelos hochhoben, als wäre sie leicht wie
eine Feder. Sophie schwang das rechte Bein über den Sattel, setzte sich zurecht und
blickte zu Lord Edward hinab.
Er stand dicht neben Rosalind, streichelte über den weichen Hals und sah mit seinem
halb amüsierten, halb anzüglichen Lächeln zu Sophie empor. Sie wollte sich abwenden
und Rosalind antreiben, aber dann tat sie stattdessen etwas äußerst Unkluges: Sie sah
Lord Edward in die Augen. Und zwar richtig und nicht, wie man jemandem bloß in die
Augen blickte, wenn man sich mit ihm unterhielt.
Und gleich darauf starrte sie mit angehaltenem Atem mitten hinein. Blau. Nein, nicht
blau. Der Mann hatte violette Augen. Violett mit grauen Wolkenschleiern darüber.
Genauso hatte der Himmel über der Burg ihres Vaters ausgesehen, als Sophie
abgereist war. Wolken verschiedenster Farbschattierungen hatten sich über der Burg
zusammengezogen, und dahinter war der Himmel dunkelblau und violett gewesen. Sie
hatte, während die Kutsche sie fortführte, den Kopf aus dem Fenster gesteckt und
kaum den Blick von diesem Farbenspiel lösen können. Eine Mischung aus Heimweh,
Faszination und Unruhe erfasste sie. Und zugleich eine Sehnsucht nach Schutz und
Geborgenheit.
Übrigens muss ich Sie korrigieren, Bengelchen, sagte er mit einer samtweichen
Stimme, die über Sophies Haut glitt wie eine Liebkosung. Sie täuschen sich: Sie hätte
ich bestimmt nicht halbnackt davonlaufen lassen.
Sophie fiel vor Schreck aus allen schottischen Himmeln in die Gegenwart und
beinahe auch von Rosalind. Der Kuss, den sie ihm versprochen hatte, fiel ihr mit
einem Mal ein, und sie hatte plötzlich Angst, Lord Edward könnte ihn hier und jetzt
einfordern wollen. Sie richtete sich im Sattel auf, holte tief Luft, aber da trat er auch
schon zurück.
Sein Lächeln war sinnlich und unverschämt. Guten Heimritt, Miss McIntosh. Und
passen Sie gut auf Ihre Hosen auf.
Sophie verkniff sich eine Antwort. Ihr stand mehr der Sinn nach Flucht. Sie zog
Rosalind herum und presste ihr die Fersen in die Weichen.
Rosalind machte einen Satz vorwärts und flog dann in einem leichtfüßigen,
übermütigen Galopp davon.
* * *
Edward ritt Sophie ein Stück nach, bis er sich davon überzeugt hatte, dass sie auch
tatsächlich den Weg nach Hause einschlug. Als er jedoch selbst heimreiten wollte,
wurde ihm der Weg von zwei Reitern abgeschnitten, die es offenbar darauf anlegten,
ihn zu treffen.
Der eine war ein großer, kräftiger Mensch, der aussah, als hätte er sein Lebtag lang
noch kein Lächeln hervorgebracht, der andere ein
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