Suesse Versuchung
abrufbereit zu halten, erschien
ihm denn doch verdächtig. Sophie hatte ihm keine Erklärung gegeben, sondern nur
einen schönen Batzen Geld in die Hand gedrückt. Das hatte gewirkt.
Und nun hockte sie neben Rosalind, die unternehmungslustig an ihrer Schulter
knabberte, im Stall und behielt die Hintertür des Hauses im Auge. Gerade, als sie zu
gähnen begann und ihre Wachsamkeit nachließ, sah sie, wie die Tür einen Spalt
geöffnet wurde. Henry steckte seine Nase heraus, öffnete die Tür weiter, huschte
hinaus und machte sie lautlos wieder hinter sich zu. Dann schlich er an der Hausmauer
entlang und am Stall vorbei. Sophie duckte sich, als er das Fenster passierte. Sie führte
Rosalind hinaus, um den Stall herum und in die Richtung, in der Henry verschwunden
war.
Henry war nicht wie sie gedacht hatte von jemandem erwartet worden. Man hatte
lediglich ein Pferd unter einer Gruppe von Bäumen angebunden. Ihn zu verfolgen war
schwieriger, als Sophie gedacht hatte, denn das Gebüsch hier war gerade so hoch wie
ein Reiter, und der Mond schien hell. Sie wartete, bis Henry ein Stück vorgeritten war,
dann zog sie sich ebenfalls in den Sattel und beugte sich tief über Rosalinds Hals, als
sie in einigem Abstand ihrem Vetter hinterher ritt. Erst, als sie einen lichten Wald
erreichten, wurde es leichter. Jetzt konnte sie aufrecht reiten, hatte jedoch wieder das
Problem, Henry aus den Augen zu verlieren, wenn sie nicht dran blieb. Obwohl sie,
wie Sophie bald feststellte, genau so gut auch hätte vorreiten können, denn das Ziel
war Marian Manor.
Sophie hielt bei einer etwa zweihundert Meter vom Haus entfernten Baumgruppe,
stieg ab und zog Rosalinds Kopf zu sich hinunter.
Du musst schön hierbleiben und still sein, flüsterte sie ihr ins Ohr. Ich bleibe nicht
lange aus. Sie steckte ihrer Stute noch eine Karotte zwischen die Zähne und verließ
sie dann, um sich näher zu pirschen, bis sie es sich hinter einigen dichten Büschen, von
denen aus sie einen guten Blick auf das mit Fackeln hell beleuchtete Haus hatte,
bequem machen konnte.
Sie hatte Übung im Anschleichen. Ihre Brüder und sie hatten das in ihrer Kindheit oft
geübt. Es war ihnen zwar verboten gewesen, sich an die Pächter anzupirschen, aber
das hatte sowohl die McIntoshs als auch die Kinder der Pächter niemals gehindert, sich
gegenseitig zu beschleichen, zu erschrecken und sich Streiche zu spielen. Sie waren,
zumindest die Jungen, regelmäßig von den Eltern dafür versohlt worden, und hatten es
doch wieder gemacht. Aber das hier, sagte sich Sophie, war kein Spiel. Entsprechend
feucht waren auch ihre Hände, und ihre Kehle war trocken, aber die unwiderstehliche
Neugier und die Unternehmungslust waren stärker als alles andere.
Die Haustür stand dieses Mal sperrangelweit offen, und in ihrem Rahmen lehnte
Captain Jonathan Hendricks. Zwei Männer kamen mit Fässchen beladen von der
Rückseite des Hauses, vermutlich aus dem Hintereingang. Dann kam noch einer und
schließlich eine ganze Gruppe, die Ballen und Kisten schleppte. Sophie sah, dass sie
alles zu einem vor dem Haus stehenden Wagen brachten. Kein Wunder, dass das Gras
so niedergetrampelt war.
Und da war Henry! Ihr Vetter trat hinter Hendricks aus dem Haus und ging mit
gesenktem Kopf zu dem Wagen, der in der Zwischenzeit bis oben hin beladen worden
war. Captain Hendricks rief ihm etwas zu, und Henry nickte nur. Er wirkte unglücklich
und ein wenig verängstigt. Sophie beobachtete, wie er auf den Wagen stieg und die
Zügel aufnahm. Ein Mann rannte zu ihm und sprach auf ihn ein. Dann kamen andere
und legten eine Plane über das Schmuggelgut.
Sophie starrte angestrengt hinüber. Wie war ihr Vetter nur in diese Sache geraten? Sie
musste herausfinden, was Jonathan Hendricks gegen Henry in der Hand hatte. Sie war
entschlossen, dem Geheimnis auf die Spur zu kommen, und Henry aus den Klauen
dieser Bande zu befreien.
Soeben wollte sie zurück zu Rosalind huschen, als Jonathan Hendricks die zur
Haustür führende Steintreppe herabkam. Sophie duckte sich noch ein wenig tiefer in
den Schatten des Busches. Hendricks winkte jemandem zu, der zu Sophies Entsetzen
aus genau der Richtung auftauchte, in der sie Rosalind versteckt hatte. Hoffentlich
verhielt sich das Pferd ruhig. Und hoffentlich war der Mann kein Späher gewesen, der
sie beobachtet hatte. Sie hielt den Atem an, als der Mann, ein ziemlich großer,
missmutig aussehender Kerl, zu Captain
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