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Sumerki - Daemmerung Roman

Titel: Sumerki - Daemmerung Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dmitry Glukhovsky
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noch immer wie gelähmt zwischen dem dritten und vierten Stock. Ich würde also acht Treppenläufe überwinden müssen. Erst zwanzig Minuten zuvor war die Stromversorgung wiederhergestellt worden, und nun saß die ganze Familie in der Küche vor dem Fernseher, in dem gerade die Emotionen hochkochten.
    In der Hauptstadt waren über tausend Menschen infolge der Katastrophe ums Leben gekommen, noch mal so viele galten als vermisst. In drei bis vier Tagen würde man, wie üblich, die Suche nach ihnen aufgeben, um sich mit schwerem Gerät an die Aufräumarbeiten zu machen und so die eingestürzten Gebäude in Massengräber zu verwandeln. Noch aber versprachen die Behörden hoch und heilig, sie würden alles tun, um jedes einzelne Menschenleben zu retten.
    In diesem Moment zeigten die Kameras, wie unter einem zehn Meter langen Eisenträger ein kleines Mädchen mit tränenverschmiertem Gesicht aus einem zufällig entstandenen Hohlraum hervorgezogen wurde. In der ganzen Stadt würde es höchstens zwei oder drei solcher Wunder geben, doch all den verängstigten Menschen, die verzweifelt mit geschundenen Händen in den Ruinen ihrer Häuser herumgruben, würde dies neue Kraft einflößen. Was war furchtbarer und quälender als die Hoffnung?
    Wie es sich fürs Fernsehen gehörte, bekamen wir als Nächstes Krankenhäuser zu sehen. Greise, die wie Kleinkinder heulten, düster schweigende Kinder mit gealtertem
Blick, Verbände, so weit das Auge reichte … Wir brauchen Blut für Infusionen, viel Blut. Ein Meer aus Blut …
    Das waren nur die Bilder aus Moskau. Daneben gab es noch Petersburg und Jekaterinburg und Machatschkala und Wladiwostok. Und das halb überschwemmte New York mit Zehntausenden Städtern, die bei der Evakuierung gezögert hatten und nun in ihren Wohnungen zurückgeblieben waren, die Lungen voller Salzwasser. Und Tokio mit den eingestürzten hundertstöckigen Hochhäusern, die unter sich ganze Viertel begraben hatten. Wir sahen schwarze Punkte, die zwischen schiefergrauen Quadraten auf einer riesigen Wasseroberfläche dahintrieben - leblose, menschliche Körper und Dächer waren alles, was von der Stadt Kobe übrig geblieben war. Wir sahen blutverschmierte, schwitzende Inder zwischen Bergen Hunderttausender zermalmter Leichen, die schon in wenigen Tagen schwere Epidemien auslösen würden.
    Nachdem ich die Küche der Nachbarn betreten hatte, blieb ich zehn, ja zwanzig Minuten wie zur Salzsäule erstarrt stehen, den Blick auf den Bildschirm geheftet. Ich traute mich nicht, das Gespräch auf die idiotische Schreibmaschine zu bringen. Erst als der Nachrichtenblock über das Armageddon zu Ende war, öffnete ich die Lippen:
    »Sergej Andrejewitsch, Sie hatten doch mal eine Schreibmaschine, nicht wahr?«
    »Neue Wendung im Mehrfachmordfall von Bibirewo« , tönte es gnadenlos aus dem Fernseher.
    Bilder vom Tatort: Menschen in Milizuniform bewegten sich vorsichtig über einen blutüberströmten Boden. Sanitäter luden Leichen in ungewohnter Bekleidung auf ihre Tragen.
Ich konnte etwas Grellbuntes erkennen sowie eine Art Federschmuck. Dann wurden Nahaufnahmen gezeigt: von einer Hand mit einer teuren Schweizer Armbanduhr und einer seltsamen Maske, bei der ich sofort an die Bilder in Jagoniels Buch denken musste.
    »Die Identität eines Opfers konnte inzwischen festgestellt werden.« Fotos lächelnder Menschen erschienen auf dem Bildschirm. Sicher war es genauso schwer, ein passendes Foto für die Todesanzeige oder für die Gravur auf dem Grabstein zu finden … Drei von ihnen erkannte ich als Mitarbeiter von Akab Tsin : das junge, kurzhaarige Mädchen, die gepflegte Brünette und den Typen Marke Fotomodell. Mein Gott. Ich fühlte mich taub, als wäre ein Ozeanbrecher über mich hereingebrochen. »Über Neujahr haben wir geschlossen wegen der Rituale«, hallte es in meinem Kopf wider. Was für teuflische Zeremonien waren da auf dem Dach des mehrstöckigen Hauses in Bibirewo abgelaufen? Diese Menschen hatten sich doch nicht etwa freiwillig abschlachten lassen? Und dann, vorausgesetzt, Nabattschikow hatte nicht gelogen, um aus mir ein Geständnis herauszulocken: Wozu hatten sie eine Kopie meiner Übersetzung gebraucht?
    Und da kam auch schon der Major ins Bild, wie er, an der Kamera vorbeiblickend, dem Reporter mit überraschend trockener, fast tonloser Stimme irgendwelche Erklärungen gab. Dann erstarrte das Gesicht des Ermittlers zum Standbild.
    »Soeben erreicht uns die Nachricht, dass der in dieser Angelegenheit

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