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Sumerki - Daemmerung Roman

Titel: Sumerki - Daemmerung Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dmitry Glukhovsky
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der Südhalbkugel befindet. Kein Mensch hier hat je davon gehört, dass auf der Oberfläche des Mondes ein menschliches Gesicht zu erkennen ist; dafür glaubt der gesamte Kontinent, dass die Krater und Meere unseres Trabanten die Umrisse eines Kaninchens ergeben. Mit Ohren.
    Und die Sterne sind uns dort näher.
    Dort, der schmale Pfad, wer weiß von wem ausgetreten und wann. Sie folgen ihm, seit sie das feindselige Dorf verlassen haben. Ein unsicherer, trügerischer Weg, der sich mitunter unversehens im Dickicht verliert. Nun müssen die Männer sich den Weg bahnen: Mit Macheten schlagen sie dicke Lianen ab, aus denen ein klebriger, stark duftender Saft hervortritt. Der Pfad verschwindet immer tiefer im Dschungel, gabelt sich zwei-, manchmal sogar dreifach, führt sie mit seinen Verzweigungen in Sümpfe, in Sackgassen, lockt sie zu seltsamen rituellen Orten, Lichtungen, wo hungrige Steingötzen und böse Geister den unvorsichtigen Reisenden auflauern. Sich schlängelnd und windend, bringt er sie unversehens zu einem Abschnitt zurück, den sie gerade erst durchwandert haben - oder scheint es ihnen nur so? Mal ist der Verlauf kaum noch zu erkennen; ist es überhaupt noch ein Pfad, oder stehen da die Bäume nur etwas lichter? Mal wird er plötzlich ganz breit und scheint erst vor kurzem von jemandem betreten worden zu sein - doch von wem?
    Die Selva ist ein geheimnisvoller, undurchdringlicher Wald, wo unbekannte, wunderliche Bäume Stamm an Stamm wachsen und der knappe freie Raum zwischen ihren Wurzeln
von Büschen und Schlingpflanzen ausgefüllt ist. An ihren knorrigen Zweigen hängen ungewöhnliche, schwere Früchte. Probierst du eine, so erlangst du unerschöpfliche Manneskraft bis ins hohe Alter, beißt du in eine andere, so stirbst du an Ort und Stelle unter furchtbaren Krämpfen. Im Dickicht kaum zu sehen, doch dafür schon auf viele Meter hin zu riechen sind riesige, prallbunte Blüten, deren Duft dich schwindlig macht.
    Es ist ein Wald, der vor Leben nur so strotzt - im Gegensatz zu dem schiefen Kieferngestrüpp auf den fernen Hügeln Spaniens, den von der iberischen Sonne ausgedörrten Olivenhainen, ja auch den kümmerlichen, phlegmatischen Wäldchen unserer mittleren Breiten. Die Selva atmet, sie bewegt sich, in ihr kocht das Leben Tag und Nacht, unablässig verfolgt sie den Wanderer aus Tausenden von Augen - Spinnenaugen, Katzenaugen, Vogelaugen …
    Die Selva ist die Quintessenz des Lebens: In ihrem Dickicht erblicken ständig Milliarden neue Geschöpfe das Licht der Welt, während Milliarden andere sterben. Sie fressen einander und saugen einander die Säfte aus, verwelken und erblühen, opfern sich, um ihre Nachkommen großzuziehen, entleeren sich, schöpfen ihre Lebensenergie aus der Sonne, der Luft, aus Blut und Fleisch, aus Wasser und Kot, um schließlich, am Ende ihres Lebens, diesen fetten, von Würmern wimmelnden Boden zu düngen und wiedergeboren zu werden - in anderen Wesen.
     
    Während ich über der blauen Gasflamme Kartoffelstückchen in Smetana brutzelte, musste ich an das purpurrote Lagerfeuer denken, das die Spanier auf einer in den Wald
gehauenen Lichtung entfacht hatten. Ich stellte mir die Konquistadoren vor, wie sie um das Feuer saßen und der rötliche Schein auf ihre gebräunten, ledrigen Gesichter mit den dichten schwarzen Bärten fiel, wie sich das Flackern auf ihren gebogenen Stahlhelmen widerspiegelte. Dort saß Señor Vasco de Aguilar: Aus irgendeinem Grund hatte er in meiner Vorstellung rotes, struppiges Haar, war untersetzt und energisch, jederzeit bereit, seinen Degen zu ziehen. Keine Ahnung, woher ich dieses Bild nahm - bisher war Vasco de Aguilar nie selbst, sondern nur als fast wortloser Begleiter des Autors in Erscheinung getreten.
    Fray Joaquín war in meiner Vorstellung ein hochgewachsener, jedoch gebeugter, blasser Mann mit einer raubvogelartigen Hakennase und ungesunden, in langen Jahren klösterlicher Bibliothekslektüre tief eingegrabenen Ringen unter den schwarzen Augen, welche zumeist melancholisch verschleiert waren, doch bisweilen auch in gerechtem Zorn aufblitzten. Er trug, dem asketischen Brauch der Franziskaner entsprechend, eine graubraune Mönchskutte aus grobem Sackleinen und anstelle eines Gürtels ein einfaches Seil.
    Von den indianischen Wegführern hatte ich überhaupt kein Bild. Kleideten sie sich wie die Spanier, oder trugen sie die Tracht der Maya? Und wie sah die eigentlich aus?
    Am seltsamsten verhielt es sich mit dem Autor des Berichts. Wenn ich an

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