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Sumerki - Daemmerung Roman

Titel: Sumerki - Daemmerung Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dmitry Glukhovsky
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großzügigen Geschenken der Maya, unter denen sich auch goldener Schmuck befand, ein Landgut erwarb, auf dem ich bis zum heutigen Tage in Ruhe und Frieden lebe.
    Dass die Stürme sowohl das Schiff verschonten, auf dem ich von Yucatán nach Spanien heimkehrte, als auch mein ganzes weiteres Leben: Als Hüter der indianischen Prophezeiungen bewahrt mich Gott sicher vor allen Fährnissen.
    Dass ich, der ich die Erinnerung an die Zukunft aufbewahre, nicht nur weiß, dass die Welt endlich ist, sondern auch stets daran denke, wie die Maya sich selbst betrogen, als sie ihren eigenen Untergang weissagten. Dass es bereits früher Vorzeichen gegeben hatte, die diesen Prophezeiungen ähnelten, wodurch unsere Ahnen in die Irre und in Versuchung geführt wurden. Und also gedenke ich jener Warnung, welche die Nachfahren der alten Indios ausgesprochen hatten: niemals zu versuchen, das eigene Schicksal zu sehen.
    Denn in der Erkenntnis der Unausweichlichkeit unseres Endes liegt die Ruhe, und in der Ungewissheit des Zeitpunkts die Hoffnung; von der Ungewissheit und der Hoffnung aber lebt der Mensch. Und noch am Vorabend des Weltendes wird er die Hoffnung nähren, denn so ist er beschaffen. Wer sie aber fahren lässt, verdammt sich selbst von vorneherein. Um dies zu begreifen, sandte mich der Herr nach Yucatán auf eine Expedition, von der ich nun berichten werde.«
     
    Das war alles. Der Kreis der Erzählung hatte sich geschlossen. Was danach kam, wusste ich bereits.
    Sanft ließ ich die Blätter auf den Tisch gleiten und lauschte. Es hatte einige Zeit in Anspruch genommen, »Kapitel I« zu bewältigen und ins Reine zu schreiben, doch hatte die Erde keine neuen Zuckungen folgen lassen. Vergeblich spürte
ich, starr wie eine gefangene Spinne, selbst den kleinsten Vibrationen der Wände nach. Es schien, als wäre der Anfall vorüber … Doch für wie lange?
    Die Wanduhr behauptete, es sei viertel nach zehn. Welch abgrundtiefer Unsinn. Einer der Stöße musste den Mechanismus beschädigt haben, so dass die Zahnräder hängen geblieben waren und den Moment festgehalten hatten, als das Erbeben begann. Draußen vor dem Fenster hing noch immer dieselbe schwere Finsternis. Nach meiner Berechnung war elf Uhr abends längst vorbei, und für zehn Uhr morgens war es viel zu dunkel.
    Doch als ich nach einigen Minuten unruhigen Hin- und Herwanderns durch meine Wohnung wieder meinen Blick auf das Zifferblatt heftete, war der große Zeiger genau um eine Vierteldrehung nach unten gewandert. Funktionierte sie wieder? Seltsam.
    Und plötzlich flackerte in meinem Kopf etwas auf … Eine Erinnerung? Ein Gedanke? Es leuchtete hell wie der erste Augenblick eines Déjà-vus, und es war genauso leicht und flüchtig. Ich hielt das Bild fest und zog es vorsichtig zu mir, als hinge es an einem Haar, das jederzeit reißen konnte … Es hatte etwas mit den indianischen Ritualen zu tun … Mein Gott!
    Ich begann vor Kälte zu zittern. Meine Knie wurden weich, mein Magen flau. Voller Angst vor dem, was ich jetzt sehen würde, zog ich aus der Tischschublade meine digitale Armbanduhr mit dem kaputten Riemen. Diese war unbestechlich und ließ sich von keinerlei Erschütterung aus dem Takt bringen. Sie zeigte exakt die gleiche Zeit an wie die runde Uhr an der Wand, die gleiche Zeit wie das Glockenspiel
am Kremlturm und wie jede andere funktionierende Uhr in dieser Stadt.
    Es war tatsächlich nicht mehr lang bis elf Uhr morgens. Und dennoch herrschte dort draußen eine bedrückende, undurchdringliche, unmögliche Dämmerung.
    Ich stürzte zum Bücherregal, dass mir das heiße Wachs über die Finger tropfte. Dort stand E. Jagoniel. Ja, er war bereit, mir noch einmal von dem seltsamen, faszinierenden Ritual zu berichten, das die yukatanischen Ureinwohner alle 52 Haab -Jahre vollzogen, wenn das Universum am Rand des Abgrunds innehielt. Von jenen furchtbaren fünf Tagen, da sich die Erde den Ungeheuern und Dämonen auslieferte und sich die Menschen still und ängstlich in ihren Hütten und Palästen verbargen und es nicht wagten, sich auf der Straße zu zeigen. Denn die Todesgeister streiften fünf unendlich lange Tage, von ihren Ketten befreit, durch die Welt und blickten gierig durch die Fenster menschlicher Behausungen. Und am Ende dieser Zeit mussten sich jene, die sie überstanden hatten, noch einer weiteren, weitaus strengeren Prüfung unterziehen.
    Während ich die Beschreibung der Bräuche noch einmal las und über ihren Sinn nachdachte, verging eine weitere halbe

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