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Sumerki - Daemmerung Roman

Titel: Sumerki - Daemmerung Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dmitry Glukhovsky
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konnte ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass hier jemand zum ersten Mal im Leben etwas geschrieben hatte - so eigentümlich und ungelenk waren die Buchstaben hingemalt.
     
    EL CONOCIMIENTO ES UNA CONDENA
     
    So viel verstand ich auch ohne Wörterbuch: »Das Wissen ist eine Strafe.«
     
    »Keinen Anstand haben die«, fauchte jemand hinter mir entrüstet.
    Ich drehte mich um und versuchte hastig die bleiche Spur der Angst von meinem Gesicht zu wischen. Die Arme in die Seiten gestemmt, stand meine Nachbarin aus der Wohnung gegenüber beim Aufzug. Sie hielt nie lange mit ihrer Meinung hinterm Berg. Das Doppelkinn verbarg ihren Hals komplett und ragte geradewegs aus dem aufgeknöpften Kragen ihres Nutriapelzes hervor. Unter der runden, tief sitzenden Pelzmütze glommen düster ihre Augen.
    Wollte sie mir etwa eine Standpauke halten wegen irgendwelcher später Gäste, die in der Nacht besoffen gegen meine Tür gehämmert und das ganze Haus aufgeweckt hätten?
    »Schon wieder dieses Gesindel! Furchtbar, nicht wahr? Bei Leonid Arkadjewitsch vom siebten haben sie auch auf die Tür geschmiert. Sogar noch was Schlimmeres, etwas über seine Tochter. In unserem Eingang treiben sich ja ewig irgendwelche
Kerle rum, und dann die ganzen Kippen im ersten Stock! Mir reicht’s jedenfalls, nächstes Mal hol ich jemanden vom Revier. Wozu bringt man ihnen Englisch bei: Damit sie den Leuten die Türen vollschmieren?« Sie deutete mit ihrem wulstigen Finger auf die unheilvolle Botschaft an meinem Eingang. Auf wundersame Weise verwandelte sie meine nächtliche Horrorshow gerade in einen gewöhnlichen Streich irgendwelcher Rowdys.
    »Es ist Spanisch«, korrigierte ich sie taktvoll, erntete dadurch aber nur einen stechenden, misstrauischen Blick.
    »Sie sind mir auch so einer«, blaffte sie.
    »Sagen Sie mal, Serafima Antonowna … Haben Sie gestern Nacht nichts gehört? Da war so ein Lärm auf der Treppe, ich bin mehrmals aufgewacht.«
    Auch ich zog die Augenbrauen zusammen, um zu signalisieren, dass ich fest aufseiten der ordnungsliebenden Mitbewohner stand und jegliches Randalieren absolut verurteilte, ebenso wie die Alkoholiker aus dem fünften und die kleine Familie ein Stockwerk über uns, die ständig nach zehn Uhr abends in ihren Wänden bohrte.
    »Natürlich hab ich das! Sogar die Miliz ist gekommen, so haben die im fünften sich aufgeführt. Hat mir Swetlana Sergejewna erzählt. Höchste Zeit, dass jemand die rausschmeißt, diese Säufer. Wir sollten schon mal Unterschriften sammeln.« Ihr Kinn hatte leicht zu zittern begonnen, so dass sich feine Kräuselwellen über ihr Gesicht und den fetten Hals verbreiteten.
    Sie begann ihren Pelz aufzuknöpfen, da sie offenbar auf eine Fortsetzung des Gesprächs rechnete, doch zog ich mich bereits hinter meine Tür zurück.

    »Ganz Ihrer Meinung. Sie entschuldigen, ich muss arbeiten, einen Auftrag fertig machen.«
    »Wollen Sie diese Schmiererei denn nicht entfernen? Das ganze Treppenhaus ist schon versaut! Kommen Sie, ich gebe Ihnen ein Reinigungsmittel. Sie als Junggeselle haben doch sicher keins.«
    Doch ich hatte meine Tür bereits zugeschlagen und hörte nur noch ihre gedämpfte Stimme von draußen: »Flegel …«
     
    Das Wissen ist eine Strafe. Deutlicher ging es kaum. Nicht nur irgendein abstraktes Wissen, sondern genau das, woran wir alle dachten. Nicht umsonst hatte der Schreiber den bestimmten Artikel gewählt. Genau das Wissen, nach dem die Expedition im undurchdringlichen Dickicht jenes Urwalds im heutigen mexikanischen Staat Campeche suchen sollte. Das Wissen, das Juan Nachi Cocom und das Halbblut Hernán González gehütet hatten. Jenes Wissen, das womöglich der Grund für die Entstehung des Tagebuchs war - damit es bewahrt und an andere, lebende Menschen weitergegeben werden konnte.
    Gut möglich, dass der nächtliche Besuch eine letzte Warnung gewesen war. Mit weiterer Schonung durfte ich nicht rechnen - das bewiesen deutlich sowohl das unbekannte Schicksal meines Vorgängers, der das erste Kapitel in Händen gehalten hatte, als auch der furchtbare Tod des Mitarbeiters aus dem Übersetzungsbüro.
    Doch irgendetwas Außergewöhnliches schien mit mir zu passieren. Anstatt mich zur Aufgabe zu bewegen, mir für immer die Lust an dieser Arbeit zu verderben, hatte die Inschrift an meiner Tür meine Neugier nur noch mehr entfacht.
Es war nicht das Wort condena , an das ich dabei zuerst dachte, sondern das verführerische conocimiento , das meinen inneren Blick wie magisch

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