Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Sumerki - Daemmerung Roman

Titel: Sumerki - Daemmerung Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dmitry Glukhovsky
Vom Netzwerk:
aufgelegt hatte, lauschte ich noch eine halbe Minute lang den kurzen Signalen aus dem Hörer und versuchte mich daran zu erinnern, ob ich in diesem seltsamen Büro eigentlich meine Telefonnummer hinterlassen hatte. Natürlich gab es in der heutigen Zeit genügend Möglichkeiten, über jedermann jede beliebige Information herauszufinden, aber trotzdem …
    Nachdem ich zu keinem eindeutigen Schluss gekommen war, kehrte ich in mein Zimmer zurück, spannte ein neues Blatt in die Olympia ein und begann die Übersetzung des letzten Kapitels ins Reine zu schreiben. In meinem Kopf herrschte selige Leere, ich arbeitete rasch, ohne dass mich
irgendwelche Zweifel plagten, und bereits nach wenigen Stunden war die Arbeit fertig.
    So geht es wahrscheinlich einem Junkie, der ein für alle Mal beschlossen hat auszusteigen und ein neues Leben zu beginnen. Urplötzlich packt es ihn, in einem einzigen Augenblick vergisst er seine guten Vorsätze und macht sich ohne den geringsten inneren Widerstand, wie ein Schlafwandler unter dem Einfluss des Mondes, auf die Suche nach einem Schuss. Er denkt dabei an nichts, nicht einmal in dem Augenblick, wenn er in den Strudel süßen Vergessens hinabgezogen wird. Erst am nächsten Tag macht sich mit den spastischen Entzugserscheinungen auch wieder die Reue bemerkbar.
    Ich heftete die Reinschrift mit einer Büroklammer zusammen, zog mich warm an, blickte furchtsam durch den Türspion und trat hinaus. Das Treppenhaus war leer, doch die versiegelte Nachbarswohnung sowie die Kratzspuren und der Schriftzug an meiner Tür - ich war noch immer nicht dazugekommen, ihn abzuwischen - erinnerten mich an den Abgrund, vor dem ich stand. Ich traute mich nicht an dem Blut vorbei, das die Putzfrau in dem Versuch es zu entfernen noch mehr verteilt hatte. Stattdessen nahm ich den Lift, und sobald ich das Haus verlassen hatte, stellte ich mich an den Straßenrand und ließ mich vom erstbesten Auto mitnehmen.
     
    Die Scheiben des völlig verschmierten Sechsers waren mit Reif beschlagen, und er klapperte erbärmlich wie ein frierender Straßenköter. Der kaukasische Fahrer trug eine doppelseitige Daunenjacke, die bereits Federn ließ und
farblich an eine Collage von Andy Warhol erinnerte. Aufgeplustert saß er am Steuer und schwieg, als befürchtete er, mit seinem Atem könne aus seinem Mund wertvolle Wärme oder, wie Castaneda gesagt hätte, »Lebensenergie« entweichen.
    Auf den ersten Blick schien es, als hätte der nächtliche Vorfall in den verschneiten Moskauer Straßen keine größeren Zerstörungen angerichtet, doch an mehreren Stellen schienen gelbe Ameisenhaufen aus dem Boden gewachsen zu sein - dort, wo Arbeiter der Stadtwerke in Signaljacken umherwuselten, um irgendwelche unsichtbaren Versorgungsleitungen zu reparieren, die infolge der Erdstöße beschädigt worden waren.
    »In Leninakan war’s schlimmer«, bemerkte der Fahrer heiser.
    »Mir hat’s schon gestern gereicht«, antwortete ich aufrichtig. »Das war vielleicht ein Schreck.«
    »Meine halbe Familie ist damals umgekommen. Und mein Haus war total kaputt. Als ich dann nach Moskau gezogen bin, dachte ich, wenigstens wird’s hier nicht wackeln …«
    »Wissen Sie, ich glaube, heute kann es einen überall treffen«, sagte ich halb zu ihm, halb zu mir selbst.
    Er runzelte die Stirn. »Haben Sie das aus der Zeitung?«
    »Nein, aus einem Buch.«
    Der Fahrer nickte stumm und versank wieder in seinen Gedanken. Bis zum Ende der Fahrt wurde die Stille nur von seinen einsilbigen Flüchen unterbrochen, die er immer dann in den kosmischen Raum hinaussandte, wenn wir in eine schwierige Verkehrssituation gerieten.

    Der Wachmann am Eingang der Villa, in der sich das Büro Akab Tsin befand, erkannte mich und stellte mir ohne weiteres einen Besucherausweis aus. Trotz Feiertagen und Naturkatastrophen war auf den Gängen viel Betrieb: Das Kapital unseres Planeten, das in diesem herausgeputzten Gebäude einen seiner vielen kleinen Vorposten hatte, machte nie Urlaub. Zwei Maler in blitzsauberen orangefarbenen Overalls waren gerade damit beschäftigt, die Decken nachzustreichen.
    Wie gewohnt wählte ich auf der aluminiumverkleideten Tafel des Aufzugs den Knopf mit der Nummer 4. Dann schloss ich die Augen und atmete tief ein. Ein kaum spürbares Aroma lag in der Luft: Eine Mischung aus alten Edelhölzern und diesem dezenten Männerparfum, das ältere, aber noch schneidige Milliardäre tragen, während sie am Steuer ihrer schneeweißen Yachten stehen.
    Diesmal empfing

Weitere Kostenlose Bücher