Sumpffieber (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
ihm mit einer Kneifzange die Zähne zogen und seinen Mund verstümmelten. Später wurde der Musiker ein Medikamentenwrack, landete in Deutschland im Gefängnis und beging Selbstmord.
Helen und ich fuhren durch den Garden District, an den Häusern aus dem neunzehnten Jahrhundert vorbei, mit ihren Säulenportiken unter hohen Eichen, deren Wurzelsysteme sich unter Asphaltflächen schoben und diese aufbrachen wie gebrannten Ton, an den flaschengrünen Straßenbahnwaggons mit ihren rotumrandeten Fenstern vorbei, die über den geduldigen Asphalt ratterten, vorbei an der Loyola University und am Audubon Park, dann auf den Damm, wo die St. Charles Street endet und Ricky das Restaurant, den Buchladen und das Blumengeschäft besaß, von denen er angeblich lebte.
Sein Büro im zweiten Stock war mit einem schneeweißen Teppich ausgelegt und mit Glaskunst und blinkenden Stahlrohrmöbeln ausgestattet. Ein riesiges Panoramafenster gab den Blick auf den Fluß und eine überdimensional hohe Palme frei, deren Palmwedel sich im Wind gegen die Gebäudewand rieben.
Rickys beiges Nadelstreifenjackett hing über der Rückenlehne seines Stuhls. Er trug ein weißes Hemd mit einer pflaumenfarbenen Krawatte und Hosenträger, und obwohl er fast sechzig war, hatte seine große breitschultrige Gestalt noch das Muskelarsenal eines wesentlich jüngeren Mannes.
Allerdings waren es eher seine Kopfform und sein Gesicht, die die Blicke automatisch auf sich zogen. Seine Ohren waren zu groß und abstehend, das Gesicht ungewöhnlich rund, die Augen lagen hinter stets dunklen Tränensäcken, und das schwarze, sorgfältig kurz gestutzte Haar spannte sich wie ein Fell über den Schädel.
»Lange her, Robicheaux. Immer noch weg von der Flasche?« sagte er.
»Ist uns was zu Ohren gekommen, das vermutlich nur heiße Luft ist, Ricky. Du kennst einen Handwerker, einen Freiberufler namens Harpo Scruggs?«
»Meinen Sie einen Typ, der Autos repariert?« sagte er und grinste.
»Soll ein ernstzunehmender Vollstrecker sein. Operiert von New Mexiko aus.«
»Wer ist die denn? Hab Sie doch schon mal irgendwo in New Orleans gesehen, oder?« Er sah in Helens Richtung.
»Bin vor Jahren hier Politesse gewesen. Und im Frühjahr fahre ich immer noch zum Jazz and Heritage Festival. Mögen Sie Jazz?« fragte Helen.
»Nein.«
»Sie solltenʼs mal versuchen. Wynton Marsalis ist da. Großartiger Bläser. Mögen Sie Kornett nicht?« sagte sie.
»Was soll das Gequatsche, Robicheaux?«
»Sagte ich bereits, Ricky. Es geht um Harpo Scruggs. Er hat versucht, zuerst Willie Broussard und dann einen Priester umzubringen. Mein Boss ist stinksauer.«
»Dann sind wir ja schon zu zweit. Können Sie ihm ausrichten. Ich kann es nämlich nicht ausstehen, wenn mir zwei Bullen von auswärts in meinem Büro auf die Pelle rücken. Und ganz besonders mag ich es nicht, wenn Frankensteins Braut hier Andeutungen auf ein Gerücht macht, das schon vor langer Zeit begraben wurde.«
»Niemand ist dir auf die Zehen getreten, Ricky. Dieselbe Höflichkeit sollte man von dir anderen gegenüber erwarten dürfen«, sagte ich.
»Schon gut. Ich warte draußen«, sagte Helen. An der Tür blieb sie stehen. Ihr Blick schweifte zu Ricky Scarlottis Gesicht. »Kommen Sie doch gelegentlich mal nach New Iberia. Hab ne buntscheckige Katze, die ist scharf auf Mäuse.«
Sie zwinkerte ihm zu und schloß die Tür hinter sich.
»Ich will nicht weiter provozieren, Robicheaux. Ich weiß, daß Sie und Purcel bei Jimmi Figorelli waren. Was, bitte schön, ist das für ein Benehmen? Purcel gibt dem Jungen für nichts und wieder nichts eine aufs Maul. Und jetzt belästigen Sie mich wegen irgendeines Hinterwäldlers?«
»Ich hab kein Wort von einem Hinterwäldler gesagt.«
»Ich habe von ihm gehört. Aber ich lasse keine Priester umbringen. Wofür halten Sie mich?«
»Für einen stinkenden, sadistischen Haufen Scheiße, Ricky.«
Er zog die Schublade auf, holte ein Päckchen Kaugummi heraus, wickelte einen Streifen aus und schob ihn in den Mund. Dann fuhr er sich mit einem Fingerknöchel über die Nasenspitze und seufzte. Er bediente einen Knopf an seinem Schreibtisch, drehte mir den Rücken zu und starrte aus dem Panoramafenster auf den Fluß hinaus, bis ich den Raum verlassen hatte.
Am Abend fuhr ich zur Stadtbücherei in der East Main. Die ausladenden Eichen auf dem Rasen waren voller Vögel, ich hörte die Bambussträucher im Wind rascheln, und Glühwürmchen blinkten in der Dämmerung draußen über dem Bayou.
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