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sich, das sich regte und danach drängte, freigelassen zu werden. Hoffentlich wurde sie nicht davon überwältigt, nicht gerade hier und jetzt.
As’mala sah sich überall nach angebundenen Reittieren um; sie achtete dabei auf Deckung, aber die Aufmerksamkeit der Menge war nur auf die Gefangenen gerichtet, die sich zum Teil schreiend im Staub wälzten, die Augen bis zum Weiß verdreht, und Schaum spuckten. Die Schergen des Barons taten nichts, um sie aufzuhalten, sondern schlugen mit Stangen und Stöcken auf sie ein, um sie noch mehr zu reizen und verrückt zu machen.
»Er wird kommen!«, schrie ein Geknechteter in der Schandgeige; ein humanoides Wesen, dessen haarloser Kopf jedoch von einer dicken warzigen Haut bedeckt war, deren Auswüchse abwechselnd aufplatzten und ein weißliches Sekret absonderten. »Er ist schon fast da!«
Zwei andere wiegten sich in Trance, sangen monoton: »
O Herr der Fäulnis, erlöse uns, steige herauf aus den Untiefen deines Seins und stehe deinen treuen Dienern bei!
«, und stampften dazu mit den Füßen im Takt.
»Verdammt«, zischte As’mala. »Das sieht schlecht aus, sehr, sehr schlecht.« Sie sah Shanija eindringlich an. »Scheiß auf Reittiere, wir sehen zu, dass wir die Mauer zwischen uns und diese Wahnsinnigen da bringen!«
»Was hast du für Sorgen?«, fragte Shanija verwundert. »Die rufen doch nur irgendeinen bescheuerten Götzen an, das ist auf der Erde auch nicht anders. Das haut aber nie hin. Wenn es jemals einen Gott gegeben hat, interessiert er sich schon sehr lange nicht mehr für weltliches Treiben.«
»Du vergisst, wo du bist«, sagte As’mala grimmig und deutete auf eine Leiter, die an einen mehrere Meter hohen Strohhaufen gelehnt war. »Die schnappen wir uns, damit kommen wir auf die erste Zinne. Der Rest ist leicht.«
»Was hat das mit Less zu tun?« Shanija ließ nicht locker. »Hier mag vieles ungewöhnlich sein, aber ein ›Herr der Fäulnis‹? Das ist doch Humbug, oder?«
Aber As’mala schüttelte den Kopf, und ihr Gesichtsausdruck ließ keinen Zweifel offen, dass sie nicht flunkerte. Sie war
panisch
, und das beunruhigte Shanija noch mehr, denn dass die Diebin sich nicht von Furcht beherrschen ließ, hatte sie ausreichend bewiesen.
»Du meinst, die … rufen ihn wirklich …«
»Das ist die starke psimagische Strömung, ja. Sie bündeln ihre Kräfte und erschaffen ihn durch ihren wahnsinnigen Glauben.«
Sie hatten die Leiter erreicht und schleppten sie gemeinsam zur Mauer.
Die Vorstellung auf dem Marktplatz erreichte inzwischen den Höhepunkt. Die Menge klatschte begeistert, als sich die Gefangenen immer mehr in Hysterie steigerten, und schien As’malas Furcht nicht zu teilen.
Doch dann wichen die Vordersten schlagartig auseinander, als sich die Luft vor den Gefangenen plötzlich verdichtete und einen Wirbel bildete. Zuerst nur eine schmale Säule, verbreiterte sich der Wirbel rasch zu einer Windhose, rasend schnell rotierend, durchsetzt mit gelbem Sand.
Die Wächter merkten endlich, dass sie zu weit gegangen waren, und versuchten die Betenden zu trennen, zerrten sie abseits, schlugen sie bewusstlos, doch es war zu spät. Ein Mensch in einer Schandgeige hob den Kopf gen Himmel, der sich unmittelbar über dem Marktplatz mit rasch zuziehenden Wolken verdüsterte, die ebenfalls zu rotieren begannen. Tränen zeichneten nasse Bahnen über die staubigen Wangen des Mannes, und er jubelte: »Es ist vollbracht! Er kommt! Wehe, wehe euch allen, ihr Dummköpfe, ihr schaulustigen Narren, nun werdet ihr für all eure Sünden bestraft!«
Ein brausender Wind fegte über den Platz, am Himmel blitzte und donnerte es. Die Menschenmenge fiel auseinander und ergriff die Flucht, behinderte die Wachen, stürmte mitten durch die Schar der Gefangenen. Panik brach aus, denn inzwischen konnten es alle spüren – eine gewaltige Konzentration der Psimagie, ausgehend von dem immer schwärzer werdenden Wirbel, der zugleich alles einsog, was ihm zu nahe kam.
Shanija starrte wie gebannt auf die Staubsäule, die sich schon fast bis in den Himmel erhob, um sich mit den Wolken zu vereinigen. Sie verspürte einen unerklärlichen Zwang, auf das unnatürliche Phänomen zuzugehen. Sie konnte As’mala nicht mehr hören, die erschrocken etwas rief und dann versuchte, sie festzuhalten. Unbewusst griff ihre Hand wie eine eiserne Klammer zu und schüttelte die Gefährtin von sich ab. Shanijas Augen flackerten, das Grün darin verblasste. In abwesender Trance ging sie an den
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