Superdaddy: Roman (German Edition)
mal drüber nach.« Dann ging er lautlos aus dem Wohnzimmer.
9
Ich freute mich auf so vieles. Auf vertrödelte Sonntage. Auf Carcassonne und Monopoly, Tischtennis und Fußi, Wakeboard auf der Wii und endlose Vorleseabende mit Doktor Proktors Pupspulver und der Eddie-Dickens-Trilogie. (Wer behauptet, es gebe keine geniale zeitgenössische Kinderliteratur, dem haue ich persönlich eine rein.) Ich freute mich auch darauf, nach der Schule für die Kinder Bratkartoffeln mit Bohnen zu kochen, die Linus dann nicht anrühren würde, weil er stattdessen mit Begeisterung neue Star-Wars-The-Clone-Wars-Folgen nacherzählen würde. Und ich freute mich darauf, diesen Geschichten zuzuhören, ohne gleichzeitig auf siebzehn neue Nachrichten auf dem iPhone schielen zu müssen. Aber auf eines freute ich mich definitiv nicht: auf das, was mir jetzt bevorstand. Die erste und schwerste Station meines Abschieds, Germany’s next Superdaddy , zum sechsten und letzten Mal. Meine Sendung. Meine Ideen. Meine Kandidaten. Ich sah alle Sieger vor meinem inneren Auge. Und alle Verlierer. Heute war ich der Verlierer. Ich konnte das nur durchstehen. In Würde. Mehr war nicht drin, dafür hing ich zu sehr daran.
Quatsch, dachte ich. Am Leben hängt man auch. Und steht es nicht nur durch. Nein, ich sollte es machen wie mit dem Leben: Jeden Augenblick mit allen Sinnen wahrnehmen und mir einprägen, zu hundertfünfzig Prozent da sein. Ich saß im Dunkel des Zuschauerraums unseres Ministudios, das ich genauso lieb gewonnen hatte wie sein merkwürdiges Personal, allen voran Norbert, mein Regisseur, der jetzt schon seit einer halben Stunde nervös auf und ab rannte und telefonierte.
»Sag mal, das … das gibt’s doch überhaupt nicht.«
Norbert sah auf seine Uhr. Fassungslos. Er war ungefähr so groß wie Al Pacino, damit endeten aber auch schon die Ähnlichkeiten. Sein alt gewordenes Jungsgesicht wurde von blonden Locken umrahmt, die schlaff herunterhingen. Er hatte vermutlich immer zehn Jahre jünger ausgesehen, als er war. Nun, mit Anfang fünfzig, war sein Gesicht von Fältchen und Furchen durchzogen, was es aber keinen Deut männlicher machte. Es sah einfach nur aus wie ein zerknittertes Wäschestück, man wollte die Falten wegbügeln. Und ihm einen Kurs Menschenführung durch natürliche Autorität spendieren. Wusste aber schon, dass es nichts bringen würde.
»Nach seinem Navi sollte er schon vor zwanzig Minuten hier sein«, sagte Larissa, seine Assistentin. Selbst für einen Praktikantinnenjob sah sie noch zu jung aus. Offenkundig hatte Norbert sie ausschließlich nach ihrem Äußeren ausgesucht.
Er blickte theatralisch in den Scheinwerferhimmel des Studios. »Heilige Jungfrau Maria, ich hab Weihnachten noch was vor! Herbert?«
Die Bezeichnung »Regisseur« war bei einer Fernsehshow ohnehin schmeichelhaft. Ein Regisseur machte einen Film. Norbert konnte grade mal entscheiden, welche Kamera Axel Hubis blanken Schädel in welcher Perspektive aufnahm. Wenn Hubi denn da gewesen wäre. Der kam nämlich erst von einem wichtigen Termin in Köln. Anders gesagt: Was nicht in Köln stattfand, war auch kein wichtiger Termin. Zum Beispiel diese Sendung.
»Herbert??«
Niemand antwortete. Norbert kramte ein WindowsPhone aus seiner hellbeigen Cordhose, wischte darauf herum und hämmerte eine Nummer auf den Touchscreen, als wäre der berührungsschwerhörig.
»Dieses gottverdammte …«
In diesem Moment schwang die große Studiotür auf.
»Hi! Alles gut?«
Hubi. Ich war irritiert. Er war es, und er war es doch nicht. Im Fernsehen trug er nur hautenge T-Shirts, die seine Popeye-Figur zur Geltung brachten. Hier einen perfekt sitzenden italienischen Anzug.
»Axel!« Norbert lächelte dankbar, als Axel ihn zur Begrüßung umarmte.
»Sorry du«, hauchte Axel, »ich hab alles versucht, aber …«
Das war noch verwirrender. Im Fernsehen bellte er immer so aggressiv gutgelaunt wie ein TUI-Animateur. Jetzt säuselte er mit der Sanftheit eines Yogalehrers.
»Ihr habt doch nicht etwa auf mich gewartet?« Er lächelte hintergründig. Die lebende Entsprechung zum Zwinker-Smiley im Facebook-Chat. Seine gebräunte Glatze leuchtete wie eine Weihnachtskugel.
»Ach geh, Schmarr’n!« Norbert räusperte sich. »Aber lass mal gleich deine Soloszene machen, in ’ner halben Stunde startet die Generalprobe.«
»Moooment«, flüsterte er. Grinste. Und brüllte dann in Tarzanlautstärke: »KAFFEEE!!«
Larissa schüttete sich aus vor Lachen.
»Nee, im Ernst,
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