Susanne Barden 01 Hinaus ins Leben
zusein .«
Aber Connie ließ sie nicht weitersprechen. »Willst du deinen Nerven nicht ein wenig Erholung gönnen, Susy? Im Metropoltheater läuft ein fabelhafter Film. Laß uns zusammen hingehen.«
»Ach ja, das ist eine gute Idee. Aber nein, es geht leider nicht. Ich bekomme nämlich einen Monat lang keinen Spätpassierschein. Das war das letzte, was Fräulein Matthes mir verkündete.«
»Du brauchst gar keinen Spätpassierschein«, erwiderte Kit. »Wenn wir gleich nach dem Essen fortgehen, können wir um zehn
Uhr wieder hier sein.«
Connies Ratschlag, ins Kino zu gehen, erwies sich als gut. Susy dachte zuerst, daß es ihr unmöglich sein würde, ihre Aufmerksamkeit auf den Film zu richten. Aber ehe eine halbe Stunde vergangen war, hatte sie über den Sorgen der Filmheldin ihren eigenen Kummer vollkommen vergessen. Der Film war ungewöhnlich lang. Als sie aus dem Theater kamen, sah Kit auf die Uhr.
»Ach, du lieber Himmel! Es ist zehn Minuten bis zehn. Wir müssen rennen. Wenn Susy heute abend zu spät kommt, ergeht es ihr schlecht.«
»Ruf ein Taxi!« schrie Connie.
Sie kletterten in ein Taxi und beschworen den Fahrer, sich zu beeilen. Er hatte Verständnis für ihre Not und gab sich die größte Mühe, seine aufgeregten Fahrgäste zu befriedigen. Der Wagen rumpelte und schlitterte durch die vereisten Straßen. Als sie dem Berg erreicht hatten, der zum Krankenhaus hinunterführte, zog der Fahrer jedoch die Bremse an.
»Nichts zu machen«, rief er. »Hier muß ich langsam fahren, sonst gibt’s Bruch.«
Susy preßte die Nägel in ihre Handfläche, während das Auto den Berg hinunterkroch. Schließlich konnte sie es nicht länger aushalten. »Laßt uns aussteigen und laufen. Zu Fuß rutschen wir schneller den Berg runter. Wie spät ist es?«
»Eine Minute bis zehn«, antwortete Kit stöhnend. »Ach, Susy, welch ein Pech!«
Acht Minuten nach zehn liefen die drei die Stufen zum Haus Brewster hinauf. Im Erdgeschoß waren alle Fenster dunkel. Nur in der Halle brannte ein trübes Licht. Vorsichtig drückten sie die Türklinke herunter. Die Tür war zugeschlossen.
»Wer hat Dienst?« fragte Connie flüsternd. »Nora würde uns vielleicht hineinlassen, ohne uns zu melden.«
Das Zimmer der Pförtnerin lag am anderen Ende der Halle. Die Mädchen liefen um das Haus herum und spähten durchs Fenster. Nora war nicht da. Auf ihrem Platz saß Frau Fritsch, die den Spitznamen »Mops« trug. Sie war in eine Nummer der >Wahren Bekennt- nisse< vertieft und bewegte die Lippen beim Lesen.
»Sie sieht wie eine Raupe aus, die an einem Blatt frißt«, murmelte Kit.
»Schsch!« Connie zog Kit aus dem Lichtschein, der durchs Fenster fiel. »Zu dumm, daß Nora nicht da ist! Mops zeigt sofort jeden
an.«
Einen Augenblick war Susy wirklich elend zumute. Aber die Notwendigkeit, irgend etwas zu unternehmen, gab ihr wieder Auftrieb. Wie immer in schwierigen Fällen war sie auch heute die Führende.
»Paßt auf!« sagte sie leise. »Einer von uns muß durch ein Fenster klettern und dann die anderen beiden durch die Seitenpforte ins Haus lassen. Der Mops geht niemals in die Nähe der Seitenpforte.«
Sie schlichen am Haus entlang und blickten gespannt nach oben. Dabei traten sie sehr behutsam auf, um das Knirschen auf dem hart gefrorenen Schnee zu vermeiden. Es bestand keine Aussicht, eine ihrer Freundinnen zu alarmieren. Wahrscheinlich waren sie noch wach. Aber die ganze Klasse hatte ihre Zimmer im dritten und vierten Stock. Im ersten Stockwerk befanden sich das Wohnzimmer und die Krankenstube. Sie konnten es also nur im zweiten Stock versuchen. Dabei wußten sie nicht einmal, welche Schwestern dort wohnten.
Susy war nur eins klar. Sie mußte irgendwie ins Haus gelangen, ohne gemeldet zu werden. Sie mußte einfach!
»Der Efeu!« flüsterte sie plötzlich.
Wortlos liefen die drei zur Mauer und suchten nach einem Stamm, der stark genug wäre, um ein schweres Gewicht zu tragen. Endlich hatten sie einen gefunden. Er war so dick wie Susys Arm und reichte fast bis zum dritten Stockwerk hinauf, wie sie bei dem matten Sternenlicht sahen. Die Fenster links und rechts davon waren geöffnet. Man sah deutlich, wie sich die weißen Vorhänge nach außen blähten.
»Los!« zischte Kit. »Ich erfriere. Wer soll den Trapezkünstler spielen?«
Susy hatte schon darüber nachgedacht. »Ich werde es tun. Du bist zu schwer, und Connies Rock ist zu eng.«
»Welches Fenster?« hauchte Connie.
Susy sah prüfend nach oben. »Das rechte. Es liegt
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