Susanne Barden 04 - Weite Wege
Honorare deckten jetzt schon mindestens 75 Prozent ihres Gehalts. Manchmal konnte sie die Arbeit kaum bewältigen, zumal sie stets weite Wege zu machen hatte. Dennoch brachte sie es noch fertig, ein- oder zweimal in der Woche mit der schweigsamen Marianna ins Kino zu gehen.
»Warum lädst du nicht mal ein paar Mädchen aus deiner Klasse ein?« fragte sie Marianna, als sie eines Abends zusammen heimfuhren.
Marianna zuckte die Achseln. »Das macht zu viel Umstände.«
»Unsinn! Anne hat bestimmt nichts dagegen. Sie liebt es, wenn recht viel Betrieb bei ihr herrscht.«
»Ja, ich weiß. Ich meinte, ich will es nicht.«
»Ach so!« Susy drang nicht weiter in Marianna. Wenn sie etwas nicht wollte, dann tat sie es auch nicht. Es hatte keinen Sinn, daß sie sie zu überreden versuchte. Susy erinnerte sich daran, daß Anne gesagt hatte, die Mädchen in der Schule seien eklig zu Marianna. Aber mit solchen Sachen wurde Marianna schon allein fertig. Auch war es nicht weiter verwunderlich, daß sie sich mit ihren Schulkame- radinnen nicht angefreundet hatte. In New York hatte sie ja auch keine Freundin gehabt.
Ob sie sich vielleicht in einen Jungen ihrer Schule verguckt hatte? Susy fragte sie vorsichtig. Marianna erklärte ihr prompt, daß sie mit Jungen nichts anfangen könne; das sei schon immer so gewesen und werde auch immer so bleiben. Und selbst wenn es anders wäre - niemals würde sie sich mit diesen Bauernlümmeln abgeben, die sich nur für Kuhmist und Fußball interessieren. Susy hütete sich, dieses Thema noch einmal anzuschneiden.
»Es tut mir leid, daß ich dich so viel allein lassen muß«, sagte sie. »Ich hatte nicht damit gerechnet, als ich dich bat, nach Springdale zu kommen. Diese Typhusepidemie hat alle meine Pläne über den Haufen geworfen. Aber im Sommer habe ich bestimmt mehr freie Zeit; dann können wir allerlei unternehmen. Und wenn Kit erst da ist .«
»Mach dir nur keine Sorgen um mich, Susy. Du kannst doch nichts dafür, daß du keine Zeit für mich hast. Es ist nur -« Sie stockte.
»Was denn?« fragte Susy und lenkte den Wagen um ein Loch in der Straße.
»Ach, ich — He, paß auf, dort liegt ein großer Stein! Jeses, der Reifen ist hin!«
Susy bremste und stieg aus. »Alles in Ordnung! Der Reifen hat nur ‘ne Schramme abgekriegt. Hilf mir mal den Stein aus dem Weg rollen, sonst fährt noch ein anderer Wagen dagegen.«
Was Marianna hatte sagen wollen, blieb ein Geheimnis. Sie schien es ganz vergessen zu haben, denn nachdem sie wieder in den Wagen gestiegen war, nahm sie Maxi auf den Schoß und fragte: »Hat Kit schon geschrieben, wann sie kommt?«
»Wahrscheinlich nächste Woche. Sie wollte noch ein wenig Ferien machen, bevor sie ihre Stellung antritt.«
»Ob es ihr in Winslow gefallen wird?«
»Natürlich! Sie wird begeistert sein.«
»Hm.« Das war alles, was Marianna dazu äußerte.
Kit traf in den letzten Apriltagen ein, nachdem sie eine Woche bei ihrer Familie in Kanada verbracht hatte. Sie freute sich auf ihre neue Arbeit; sie war glücklich, die Freundinnen wiederzusehen und wieder einmal auf dem Lande zu sein; sie war entzückt von Anne und von Maxi. Alles interessierte sie lebhaft. Ihre braunen Augen leuchteten; sie zog die Augenbrauen in die Höhe, während sie wißbegierig Fragen stellte. Ihr fröhliches Gelächter schallte durch Annes altes Haus. Sie war wie ein frischer Seewind und blies den Staub der Müdigkeit von Susys Gedanken. Sie zauberte ein Lachen auf Mariannas mürrischen Mund und regte Bill zu dramatischen Erzählungen über das Leben eines Landarztes an. Maxi wich nicht von ihrer Seite. Anne war wie berauscht von dem Wirbel, der plötzlich ihr Haus erfüllte. Sie ging aus sich heraus und erzählte Geschichten aus früheren Zeiten, als der selige Herr Cooney um sie gefreit hatte.
»Himmel, Kind!« sagte sie fast entschuldigend zu Susy. »Fräulein Van fragt immer so schrecklich viel! Und sie will auch wirklich alles wissen. Sie versteht es, jedem Menschen das Gefühl zu geben, als ob er besonders interessant sei. Es ist eine schöne Gabe.« Nach kurzem Nachdenken fügte sie hinzu: »Aber du hast auch eine Gabe, die genau so gut ist.«
»Ich?«
»Ja! Während Fräulein Van den Menschen das Gefühl gibt, wer weiß wie interessant zu sein, gibst du ihnen zu verstehen, daß sie eine Freundin an dir haben - gleichgültig ob sie interessant sind oder nicht.«
»Ach, Anne!« rief Susy gerührt. »Wie hübsch du das gesagt hast!«
Anne lachte ein wenig. »Mit
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