Sweetgrass - das Herz der Erde
als du geben kannst. Jesus ist für dich da, wann immer du ihn brauchst.”
Mama June wusste, dass Nona es gut meinte, aber die Sorgen lasteten schwer auf ihren Schultern.
“Ich muss wirklich los”, murmelte sie. “Ich muss heute noch mehr erledigen, als ich überhaupt schaffen kann. Aber danke für deine Gebete, ich kann sie wirklich gebrauchen.”
Sweetgrass verkaufen?
Unzählige Erinnerungen überfielen Nona, als sie an Sweetgrass dachte. Einige davon waren gut, andere weniger gut, aber alle hatten mit dem Teil ihres Lebens zu tun, den sie dort verbracht hatte. Gut oder schlecht, es ging um eine ganze Reihe von Jahren, und sie musste alle von ihnen akzeptieren, denn aus ihnen setzte sich Stück für Stück, wie bei einem Puzzle, ihr Leben zusammen.
Als sie nach Hause zurückkehrte, traf sie auf ihre Tochter Maize, die gerade die Kinder abholte. Nona wusste, dass sie über Mama Junes Besuch besser nichts gesagt hätte, aber sie konnte es nicht lassen. Sie musste es einfach loswerden, mit jemandem darüber reden. Doch sie würde auch die Konsequenzen tragen müssen.
“Du kannst ihr sagen, dass wir schon lange nicht mehr für ihre Familie arbeiten.” Maizes Gesicht war hochrot, sie stand stocksteif da und stemmte beide Arme in ihre Hüften.
Nona seufzte lang und tief. “Sie hat mich doch gar nicht gebeten, wieder für sie zu arbeiten.”
“Umso besser.”
Maize benahm sich wie ein Kampfhahn, wippte auf ihren Zehen und schüttelte erregt den Kopf, angriffslustig. Jedes Mal, wenn es um Sweetgrass ging oder die Blakelys oder die Arbeit ihrer Mutter als Hausangestellte der Blakelys, wütete Maize los, und es ging dabei eher um ihre Ansichten über die Rolle der Schwarzen als um irgendetwas anderes. Nona wusste, wie sehr diese Dinge ihre Tochter beschäftigten – immer schon. Ihre Söhne Edwin und Earl trugen dieselbe beständige Wut in sich, doch sie waren längst weggegangen und wohnten bei dem Teil der Familie, der in den Norden gegangen war. Maize dagegen war geblieben. Sie war Nonas Baby – bis heute –, und die Bindung zwischen ihnen war stark. Maize hatte einen Jungen vom Ort geheiratet, einen Lehrer der örtlichen Highschool, sich hier in Charleston niedergelassen und Nona die süßesten Enkelkinder geschenkt, die man sich denken konnte. Mutter und Tochter standen sich sehr nah, aber über Sweetgrass hatte sie immer wieder gestritten.
Auch wenn sie es gegenüber ihrer Tochter niemals zugegeben hätte, weil es Wasser auf Maizes Mühlen gewesen wäre, hatte Nona sich doch innerlich angespannt, als Mama June ihre Rückkehr nach Sweetgrass angedeutet hatte. Dabei konnte sie nicht recht sagen, wieso. Sie mochte Mary June sehr, und auf Sweetgrass zu arbeiten war damals eine ganz normale Sache gewesen. Sie war in diese Arbeit hineingewachsen und immer stolz darauf gewesen, wie gut sie ihren Job gemacht hatte.
Nona konnte sich noch erinnern, wie Prestons Mutter, die alte Margaret Blakely, ganz ruhig und höflich etwas sagen konnte, das aber stets ganz eindeutig ein Befehl gewesen war.
Nona, die Läden im vorderen Zimmer müssen heute abgewischt werden
. Nicht der Befehl an sich hatte Nona gewurmt, schließlich war Mrs. Blakely ihre Arbeitgeberin. Es war die Art,
wie
sie es sagte – ohne jedes Lächeln und ohne sie auch nur anzuschauen. Aus diesem Grund hatte Nona sich in ihrer Arbeit ständig gering geschätzt gefühlt. Und Adele war schon als kleines Mädchen wie ihre Mutter gewesen.
Aber Mary June Clark war vollkommen anders. Auch sie war mit Besitz aufgewachsen, hatte es jedoch nicht so verinnerlicht. Höflichkeit und Freundlichkeit waren für sie dasselbe. Sie hatte Nona immer einbezogen und gefragt, was zu tun war und was nicht, und sie hatte ihr zugehört. Der gegenseitige Respekt hatte den Unterschied gemacht.
“Reg dich ab”, sagte Nona nun zu ihrer Tochter. “Mary June steckt in der Klemme, das ist alles. Das mit Preston Blakely ist schrecklich. Seine arme Familie! Haben sie denn nicht schon genug durchgemacht? Ich weiß gar nicht, was sie jetzt machen sollen.”
“Das geht uns nichts an.”
Nona musste sich zurückhalten. “Aber ja, die Blakelys waren meine Freunde, solange ich denken kann.”
“Sie sind nicht deine
Freunde
, Mama”, sagte Maize und sah sie finster an. “Wann wirst du das endlich lernen?”
“Schicken sie uns denn nicht jedes Jahr zu Weihnachten einen Braten von ihrem eigenen Vieh? Und dürfen wir uns von ihren Ländereien nicht nehmen, was immer wir wollen?
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