Tabu: Thriller
wichtig.
In der Küche packte sie die Lebensmittel aus – Tütensuppen, einige Konserven, Knäckebrot, Salami, Käse – und nahm den Rucksack mit in ihr Schlafzimmer auf dem niedrigen Dachboden.
Die beiden Betten standen an den gegenüberliegenden Wänden unter den Dachschrägen, so dass man dazwischen einigermaßen aufrecht stehen konnte. Sie konnte sich nichts Heimeligeres vorstellen, als im Bett zu liegen und zuzuhören, wie der Regen auf das Schieferdach prasselte.
Sie machte den Rucksack auf und breitete ihre Kleider auf dem freien Bett aus: Unterhosen, Socken, T-Shirts, zwei warme Pullover, eine Levi’s, zwei Jogginganzüge.
Sie stellte das Transistorradio auf den Nachttisch.
Sie holte Bettwäsche aus dem Schrank und hängte sie zum Lüften auf.
Danach nahm sie ein paar Eimer und schaute nach, wie viel Wasser in diesem Jahr in der Quelle war.
Der Verlag hatte sie tags zuvor angerufen. Einen Tag nach der Festnahme. Den ganzen Vormittag schon war sie mit einem unangenehmen Ziehen im Bauch herumgelaufen. Als der Verlagslektor anrief und sich erkundigte, ob sie eventuell Pläne habe, ein Buch über ihre Erlebnisse zu schreiben, hatte sie sich anstrengen müssen, nicht zu übereifrig zu klingen. Ein Buch! Natürlich! Wieso war sie nicht selbst auf diese Idee gekommen? Ein richtiges Buch mit festem Einband und ihrem Namen auf dem Cover. Sie hatte sich noch am gleichen Nachmittag mit dem Lektor getroffen, um über das Angebot zu sprechen. Und im Laufe der folgenden zwölf Stunden hatte sie den Vertrag unterschrieben, in der Redaktion zwei Wochen unbezahlten Urlaub durchgeboxt, einen Rucksack und einen Koffer gepackt, ein Paket Schreibmaschinenpapier mit Wasserzeichen gekauft und sich auf den Weg nach Bø gemacht.
Sie war nachmittags im Dorf angekommen, steif nach der stundenlangen Bahnreise und der anschließenden Fahrt im Taxi. Der Himmel war klar und silberblau. Der Mårvatnsee glänzte schwarz zwischen den Bäumen. Über dem Wiesenkerbel und dem hohen Gras auf dem Randstreifen schwirrten ganze Wolken von Kriebelmücken. Die Wimpel vor dem Rimi-Markt baumelten schlaff in der Wärme. Eine Gruppe Jugendlicher hatte sich um einen Opel Ascona geschart und folgte dem Taxi mit neugierigen Blicken.
Halvor kam gerade mit dem Trecker vom Acker, als das Taxi auf den Hofplatz bog. Er war kleiner als Kristin, stämmig und rotwangig, als hätte seine Mutter ihn mit einem anderen Mann gezeugt. Als er vom Trecker sprang, stellte sie fest, dass er seit ihrem letzten Treffen einen Bauch bekommen hatte. Sie standen sich gegenüber und nahmen einander fest in den Arm. Dann gingen sie zusammen in die Küche und tranken Kaffee, während sie ihm die letzten Neuigkeiten erzählte. Bevor sie sich verabschiedete, versprach sie, in den nächsten Tagen mal zum Abendessen runterzukommen.
Bø lag ungefähr eine Stunde Fußmarsch über dem Dorf. Der Weg dorthin hatte es in sich. Der Pfad begann hinter dem Vorratshaus des mütterlichen Hofes und schlängelte sich die steilen Hänge hinauf; durch Laubwald und Dickicht, an riesigen Felsen und moosüberwachsenen Geröllhalden vorbei. Jeder Stein und jede Wurzel weckten Erinnerungen in Kristin.
Sie warf den Gaskocher an und kochte sich einen Becher Tee, den sie mit auf die kleine Veranda hinausnahm, die Halvor vor der Hütte gezimmert hatte. Von hier hatte sie Aussicht über den nördlichen Teil von Juvdal. In der Ferne konnte man den weißen Kirchturm zwischen den Bäumen erahnen und ein kleines Stück der Straße, die aus dem Ort herausführte. Und sie sah den Fluss, der wie ein silbernes Band vom Mårvatn wegströmte. Die Weiden strahlten auf der gegenüberliegenden Talseite unter dem schwarzen Wald wie ein Flickenteppich aus verschiedenen Grüntönen.
Als es zu dämmern begann, holte sie die alte Schreibmaschine aus dem Verschlag.
2
Die Dunkelheit senkte sich langsam über Bø. Zuerst wurde die Landschaft graublau und flach. Kristin war in ihrem Kämmerchen gewesen und hatte sich den Wollpullover geholt. Jetzt stand sie auf der kleinen Plattform und genoss die Dämmerung.
Unten im Ort und auf dem gegenüberliegenden Berghang gingen immer mehr Lichter an. Über dem Bergkamm tauchte der Mond auf. Ein einzelner Stern blinkte einsam vor sich hin. Sie vergaß immer, welcher es war. Venus? Jupiter?
Sie ging hinein, schloss die Tür ab und ließ den Schlüssel von innen stecken. Dann nahm sie eine Packung Kekse und aß ein paar, während sie die Zeitschriften von 1968
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