Tänzerin der Nacht - Feehan, C: Tänzerin der Nacht - Night Game
sein eigenes Urteil nicht verlassen konnte, dann musste er sich auf das Urteil eines anderen Menschen verlassen. Als Erstes würde er sich vergewissern, dass Flames Messer noch in ihrem Besitz war und nicht in dem trüben Wasser am Grund des Bayou lag.
Flame zog dünne Lederhandschuhe an und warf einen Blick auf ihr Spiegelbild. Sie sah blass aus, und ihre Augen waren zu groß. Sie hasste dieses eingefallene Gesicht, das
sie manchmal hatte, wenn sie nicht genug Schlaf bekam. Sie hatte fast die ganze Nacht wach gelegen und über Raoul nachgedacht. Ihn begehrt. Ihn verabscheut. Etwas Blöderes konnte sie sich nicht vorstellen, und sie kam sich wie eine Idiotin vor, weil sie derart zerrissen war. Er arbeitete für Whitney, ihren ärgsten Feind, und sie malte sich in Zusammenhang mit ihm alle Arten von erotischen und schockierenden Dingen aus, einfach so, als sei nichts. Sie war gern in seiner Gesellschaft. Ihr gefiel sein bescheuerter Humor. Sie mochte es, wie sich seine Hände auf ihrer Haut anfühlten. Und sein Mund auf ihren Lippen.
Sie schloss die Augen und stöhnte leise. Sie würde niemals zurückgehen. Nicht zu Whitney und auch nicht zu Whitneys Tochter. Sie traute keinem von ihnen. Sie hatte ihr ganzes Leben damit verbracht, ein Experiment zu sein, und für den Rest ihres Lebens würde sie verdammt noch mal ihre eigenen Entscheidungen treffen, selbst wenn das hieß, dass sie ewig in Bewegung bleiben musste. Raoul mochte noch so charmant sein, sein Lächeln noch so sexy, sein Mund noch so heiß und sein Körper noch so scharf, aber er würde sie nicht überreden, erobern oder auf irgendeine andere Weise zu einer Rückkehr verleiten.
»Haben Sie etwas vor, Cher ?«, fragte Burrell, als er den Kopf durch die offene Tür steckte, und stieß einen leisen Pfiff aus. »Sie sehen nämlich mächtig gut aus.«
Sie warf ihm eine Kusshand zu. »Sie muntern mich immer wieder auf. Ich habe mir gerade gedacht, dass ich blass und uninteressant aussehe oder, noch schlimmer, blass und wie ein Zombie.«
Er schwieg einen Moment lang versonnen. »Flame, haben Sie letzte Nacht jemanden kennengelernt?« Sein
Lächeln war spöttisch, aber sein Blick war besorgt. »Ich kenne alle Jungs hier in der Gegend. Wessen Bekanntschaft haben Sie gemacht?«
Ihr Herz zog sich schmerzhaft zusammen. Er klang wie ein besorgter Vater. Sie hatte nie einen besorgten Vater gehabt, und einen Moment lang stand sie kurz vor den Tränen. »Ich habe Sie gestern Abend nach ihm gefragt. Er heißt Raoul Fontenot.« Sie konnte nichts dafür. Sie wusste, dass es ein Teil der Phantasie war, die sie auslebte – ein Zuhause, jemand, der sich etwas aus einem machte, Menschen, die sie als Freunde und Nachbarn bezeichnen konnte –, aber sie wollte seine Sorge. Sie brauchte das Gefühl, für irgendjemanden zu zählen.
»Ich habe gehört, dass er nach Hause gekommen ist, um seine Großmutter zu besuchen. Er ist ein guter Junge, wenn auch ungehobelt. Das ist kein Mann, mit dem man sich anlegt.«
Flame brach in Gelächter aus. »Was soll das heißen? Ist das eine Art Warnung, dass er ein Frauenheld ist, der mir das Herz brechen wird? Oder heißt das, dass er ein Raufbold ist, der sich über jede Schlägerei freut?«
Er runzelte die Stirn und bemühte sich um eine strenge Miene. »Das heißt, Raoul Fontenot ist ein Mann, der nicht vor Schwierigkeiten zurückschreckt. Stachele ihn bloß nicht an, weil er dann keine Ruhe geben wird.«
Flame grinste ihn an. »Meinen Sie, ich sollte mich vor ihm fürchten? Mir kam er nämlich richtig süß und goldig vor.«
Er holte mit einem Handtuch nach ihr aus. »Jetzt reicht es mir, Mädchen. Sie haben mich einmal zu oft aufgezogen. «
Flame ließ sich von ihm über das Hausboot jagen, und
beide lachten miteinander. Sie mochte den Kapitän. Burrell hatte nie geheiratet; sein Herz hing viel zu sehr am Fluss, und er konnte es nicht lassen, sich dessen Gefahren so oft wie möglich auszusetzen. Jetzt war er im Ruhestand und lebte allein auf seinem Hausboot, und er hatte an Flame und ihren Streichen ebenso große Freude wie sie an seiner Gesellschaft und an seinen Geschichten. Nach einer Weile entriss sie ihm das Handtuch und kehrte den Spieß um. Anschließend saß er in der winzigen Küche und schnappte nach Luft, während sie am Spülbecken lehnte und ihre Augen vor Belustigung strahlten.
»Sie waren doch heute Morgen auf der Bank, richtig, Capitaine ?«
»Ja, Ma’am. Ich habe Saunders angerufen und ihm angeboten, dass ich
Weitere Kostenlose Bücher