Tag der geschlossenen Tür
was?«
»Nee, im Gegenteil, wir holen uns die Samen von denen.«
»Was?«
»Nix, was. Wir fahren da hin und finden raus, wie wir an deren Kühlbehälter rankommen.«
»Sagenhafte Idee. Das ist ja dann Samenbankraub.«
»Haha, ja, wir werden Samenbankräuber. Was glaubst du, was wir damit anfangen könnten auf dem freien Markt. Samen von Helmut Kohl – das bringt Millionen.«
»Von Helmut Kohl? Wieso sollten die den Samen von Helmut Kohl eingelagert haben? Wieso sollte Helmut Kohl Samen spenden?«
»Na gut, vielleicht nicht grade Helmut Kohl, aber so Leute wie Mike Krüger zum Beispiel.«
»Du willst also ernsthaft den geklauten Samen von Mike Krüger unter der Hand anbieten? Du glaubst, dass sich jemand illegal das genetische Material von Mike Krüger besorgt, um seine Nachkommenschaft auf Generationen total zu versauen?«
»Na, dann eben von Heidi Klum.«
»Die hat keine Samen.«
»Oder von Horst Hrubesch.«
»…«
»Oder wenn wir selbst eine Prominentensamenbank eröffnen? Ein Freund von mir kennt Jimmy Hartwig. Außerdem geht Werner Feigel immer an der Alster spazieren. Und Dénes Törzs auch …«
»Dénes Törzs … Herr Ober, noch zwei Ouzo und zwei Bier.«
Jetzt, wo das Gespräch so eindeutig in die Unernsthaftigkeit abgleitet, kann ich die Zügel ruhig fahren lassen und mich zurücklehnen. Warum das Ganze nicht als eine Art Show genießen? Warum Nowak noch weiter von seinen Spinnereien abhalten? Ich hatte gleich zu Anfang schon das Gefühl, dass auf seinen Augen ein öliger Film liegt. Dass seine Ausdünstungen etwas zu streng riechen und seine Bewegungen leicht fahrig sind. Er scheint ein engeres Verhältnis mit der Flasche eingegangen zu sein. Seine Karriereideen sind von einer albernen Bassnote unterspült, die ihnen zwar einen hohen Unterhaltungswert verleiht, denen aber jede ernsthafte Umsetzbarkeit abgeht.
»Also, wenn du es schaffst, den Samen von Horst Hrubesch zu besorgen, werde ich ihn anbieten, versprochen. Wie willst du dich denn an ihn ranmachen?«
»Hahaha, sehr lustig. Das müsste man eher offiziell versuchen. Indem man die Promis anschreibt. Wir brauchen ja nur einen Brief aufzusetzen, und den kopieren wir dann und schicken ihn an all die Prominenten. Promis gibt’s ja nun wie Sand am Meer, da kommt garantiert was zurück.«
»Geniale Idee, Nowak. Verschicken wir die Röhrchen für den Samen direkt mit?«
»Nee, wenn die sich melden und Interesse haben, dann fährst du da rum und bringst denen die Röhren.«
»Ach so, na klar, jetzt komm ich ins Spiel. Also abgemacht, ich bin dabei, Hand drauf.«
Ich halte Nowak die Hand hin, und verdutzt greift er zu. So einfach hatte er sich das gar nicht vorgestellt. Wir sind wieder im Geschäft. Ich lasse mich von ihm noch zu einigen Bieren einladen und höre mir das immer weiter abdriftende Geschwafel freudvoll an. Irgendwann verabschiede ich mich mit der Vereinbarung, bereit zu sein, wenn es dann losgeht mit dem Promisamen.
Rhythmus und Melodie
H eute ist wieder Schreibtag. Ich kann es nicht ewig aufschieben, irgendwann muss ich meine Kolumne schreiben. Das Problem ist bloß: Um eine Kolumne schreiben zu können, muss man sich mit der Gesellschaft, den Tagesaktualitäten und Geschehnissen der eigenen Umwelt befassen und zu alldem eine Meinung haben. Ich lese weder Zeitung, noch nehme ich am allgemeinen Leben teil. Und eine Meinung zu alldem habe ich schon gar nicht. Höchstens die, dass mich diese Welt da draußen abstößt. Vielleicht sollte ich versuchen, rein informative Kolumnen zu schreiben. Ich könnte es immerhin probieren:
Seit einigen Jahren wird die Hamburger Innenstadt aktiv um- und ausgebaut. Die Stadtregierung möchte die Stadt für ihre Einwohner und die Besucher noch attraktiver machen und unterstützt aktiv geschäftsfördernde Maßnahmen. Alte Gebäude werden instand gesetzt oder weichen neuer, moderner, funktionaler Architektur. Auf dem Rathausmarkt finden in regelmäßigen Abständen Festivitäten statt, auf denen es anspruchsvolle Genussmittel aus den verschiedenen Bundesländern zu verzehren gibt. Als eine Lebensmittelpandemie ausbricht und 47 000 Tote fordert, dauert es lange, bis die Stadt wieder auf die Beine gestellt ist. Aber danach glänzt die Stadt in altem Glanz vor sich hin. Überall stinkt es in der Stadt. Am schlimmsten riecht es im Zentrum. Unter dem Rathaus ist ein Zentralgelenk des europäischen Exkrementeverteilers gebrochen, es entweichen unangenehme Harngase. Bald schon ist der
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