Tagebuch eines Vampirs 7 - Schwarze Mitternacht
Staub getreten worden und
al e Flüssigkeit ist hinausgeflossen.«
Shinichi stand auf, um ihr abermals wehzutun, doch sie
sagte nur die Wahrheit. Misao sprach bereits. »Wir wissen,
dass das nicht passiert ist, weil ich« – sie musste eine
Atempause machen – »immer noch lebe.«
Sie richtete ihr aschfahles, eingefal enes Gesicht auf
Shinichi und fügte hinzu: »Du hast recht. Sie ist jetzt nutzlos
und vol er Informationen, die sie nicht haben sol te. Wirf sie
hinaus. «
Ein Oger hob Bonnie hoch, mitsamt Handtuch und al em.
Shinichi trat an ihre andere Seite. »Siehst du, was ihr
meiner Schwester angetan habt? Siehst du es?«
Keine Zeit mehr. Nur eine Sekunde, um sich zu fragen, ob
sie wirklich tapfer sein würde oder nicht. Aber was sol te
sie sagen, um zu beweisen, dass sie tapfer war? Sie
öffnete den Mund und war sich ehrlich nicht sicher, ob das,
was herauskommen würde, ein Schrei war oder Worte.
»Sie wird noch viel schlimmer aussehen, wenn meine
Freunde mit ihr fertig sind«, sagte sie und sah in Misaos
Augen, dass sie ins Schwarze getroffen hatte.
»Wirf sie hinaus«, rief Shinichi in maßlosem Zorn.
Und der Oger warf sie aus dem Fenster.
Meredith erledigte in Rekordzeit, was sie sich
vorgenommen hatte. Sie druckte die von Alaric
geschickten Urnenfotos vergrößert aus, je ein
Schriftzeichen pro Blatt, sodass die Zeichen einigermaßen
erkennbar waren, und nummerierte die Ausdrucke durch.
Wenn die Saitous sie dann eindeutig identifiziert hatten,
konnten Meredith und die anderen sie auf die
Urnennachbildungen übertragen. Doch bevor das
geschehen konnte, musste sie zuerst die Familie Saitou
anrufen, um in Erfahrung zu bringen, ob sie al e zu Hause
waren. Dann fuhr sie los.
Die Saitous wirkten … angespannt. Das überraschte
Meredith nicht sonderlich, da Isobel eine der ersten, wenn
auch gänzlich unschuldigen Trägerinnen der tödlichen
Malach gewesen war. Einer der schlimmsten Fäl e war Jim
Bryce gewesen, Isobels fester Freund, der die Malach von
Caroline bekommen und an Isobel weitergegeben hatte,
ohne zu wissen, was er tat. Er selbst hatte während seiner
Besessenheit durch Shinichis Malach die grauenvol en
Symptome des Lesch-Nyhan-Syndroms entwickelt und sich
die eigenen Lippen und Finger immer weiter
angeknabbert, während die arme Isobel schmutzige
Nadeln benutzte – sogar Stricknadeln –, um sich an mehr
als dreißig Stel en zu piercen, nachdem sie sich zuerst ihre
Zunge mit einer Schere gespalten hatte.
Isobel hatte inzwischen das Krankenhaus verlassen und
war auf dem Weg der Besserung. Trotzdem war Meredith
verwirrt, denn die älteren Saitous, Obaasan – Isobels
Großmutter – und Mrs Saitou – Isobels Mutter –
betrachteten die Abbildungen der vergrößerten
Schriftzeichen unter hitzigsten, auf Japanisch
ausgefochtenen Auseinandersetzungen, bevor sie ein
jedes Zeichen gut lesbar auf neue, in der Reihenfolge der
Fotos nummerierte Blätter schrieben. Und als Meredith
gerade wieder ins Auto stieg, kam Isobel mit einer Tüte
Klebezetteln aus dem Haus gelaufen. »Die hat Mutter
gemacht – fal s du sie brauchst, bis weitere fertig sind«,
stieß sie atemlos in ihrer neuen, sanften, vernuschelten
Stimme hervor. Meredith nahm ihr die Zettel dankbar ab
und erkl?rte leicht verlegen, sie hoffe, der Familie das al es
eines Tages wiedergutmachen zu k?nnen.
»Darf … darf ich viel eicht noch einen Blick auf die
Vergrößerungen werfen?«, keuchte Isobel. Warum keuchte
sie so heftig?, fragte Meredith sich. Selbst wenn sie den
ganzen Weg vom obersten Stockwerk hinuntergelaufen
war, konnte sie davon kaum so außer Atem sein. Dann fiel
es ihr wieder ein: Bonnie hatte gesagt, Isobel habe
Probleme mit dem Herz.
»Verstehst du«, sagte Isobel fast schamhaft und flehte
dabei geradezu, dass Meredith sie verstand, »Obaasan ist
inzwischen wirklich fast blind – und es ist so lange her, seit
Mutter die Schule besucht hat … Aber ich belege gerade
jetzt Japanischkurse.«
Meredith war gerührt. Offensichtlich hielt Isobel es für
schlechtes Benehmen, einem Erwachsenen zu
widersprechen, wenn er in Hörweite war. Im Wagen ging
Isobel al e Abbildungen der vergrößerten Schriftzeichen
durch und malte auf die Rückseite der von Obasaan und
Mrs Saitou beschriebenen Blätter ein ähnliches, aber
definitiv jeweils etwas anderes Zeichen. Das beanspruchte
etwa zwanzig Minuten. Meredith betrachtete Isobels Werk
vol er Ehrfurcht. »Wie
Weitere Kostenlose Bücher