Tagebuch eines Vampirs 7 - Schwarze Mitternacht
Du musst in der Lage gewesen sein
zu sehen – mir zu sagen –, was mit mir los ist.«
Elenas Geist war immer noch mit dem von Stefano
verbunden. Sie spürte sein Unbehagen. »Was mit dir los
ist?«, fragte er behutsam, während er einen Stuhl vom
Küchentisch zog, damit Meredith sich setzen konnte.
Der überaus simple Akt des Sich-Hinsetzens, des
Innehaltens, um auf eine Höflichkeit zu reagieren, schien
Meredith ein klein wenig zu beruhigen. Aber Elena konnte
ihre Angst und ihren Schmerz immer noch fühlen wie den
Geschmack eines stählernen Schwerts auf der Zunge.
Meredith akzeptierte eine Umarmung und wurde noch ein
wenig ruhiger. Ein wenig mehr sie selbst und etwas
weniger wie ein Tier im Käfig. Aber ihr innerer Kampf war
so instinktiv und so offensichtlich, dass Elena es nicht
ertragen konnte, sie loszulassen, auch wenn Mrs Flowers
vier Teetassen auf den Tisch stel te und sich auf einen
weiteren Stuhl setzte, den Stefano ihr anbot.
Dann nahm Stefano Platz. Er wusste, dass Elena stehen
bleiben oder sich setzen oder sich einen Stuhl mit Meredith
teilen würde, aber was immer es war, sie würde diejenige
sein, die die Entscheidung traf.
Mrs Flowers rührte sanft Honig in ihre Teetasse und reichte
den Honig dann an Stefano weiter, der ihn Elena gab.
Elena ließ in Meredith’ Tasse nur jenen kleinen Klecks
Honig laufen, den diese gern mochte, und rührte dann
ebenfal s vorsichtig um.
Die gewöhnlichen, zivilisierten Geräusche von zwei Löffeln,
die leise gegen Porzel an klirrten, schienen Meredith noch
weiter zu entspannen. Sie nahm die Tasse von Elena
entgegen, nippte daran und trank dann durstig.
Elena konnte Stefanos mentalen Seufzer der Erleichterung
spüren, während Meredith langsam wieder Boden unter
den Füßen bekam. Er nippte höflich an seinem eigenen
Tee, der heiß, aber nicht glühend heiß und natürlich aus
Zutaten aus Mrs Flowers Kräutergarten gebrüht war.
»Er ist gut«, sagte Meredith. Sie war jetzt fast wieder ein
Mensch. »Vielen Dank, Mrs Flowers.«
Elena fühlte sich besser. Sie entspannte sich ausreichend,
um ihre eigene Tasse zu sich heranzuziehen, jede Menge
Honig hineinzugeben, umzurühren und einen Schluck zu
nehmen. Gut! Beruhigungstee!
Das ist Kamille und Gurke, erklärte Stefano ihr.
»Kamil e und Gurke«, sagte Elena mit einem weisen
Nicken, »zur Beruhigung.« Und dann errötete sie, weil Mrs
Flowers wissend lächelte.
Elena trank hastig einige weitere Schlucke und
beobachtete, wie Meredith wieder an ihrer Tasse nippte,
und al es begann, sich beinahe richtig anzufühlen. Meredith
war jetzt wieder ganz Meredith, kein wildes Tier mehr.
Elena drückte ihrer Freundin fest die Hand.
Es gab nur ein einziges Problem. Menschen waren zwar
weniger beängstigend als Tiere, aber sie konnten weinen.
Jetzt zitterte Meredith, die niemals weinte, und Tränen
tropften in den Tee.
»Du weißt, was morcillo ist, richtig?«, fragte sie Elena
schließlich.
Elena nickte zögernd. »Wir haben es manchmal bei dir zu
Hause im Eintopf gegessen?«, fragte sie. »Und man reicht
es zu tapas?« Elena war mit Blutwurst als Mahlzeit oder als
Imbiss im Haus ihrer Freundin aufgewachsen, und sie war
an die mundgerechten Häppchen gewöhnt, eine köstliche
Speise, die nur Mrs Sulez zubereitete.
Elena spürte, wie sich Mutlosigkeit in Stefano ausbreitete.
Sie schaute zwischen ihm und Meredith hin und her.
»Wie sich herausgestel t hat, hat meine Mutter nicht schon
immer morcillo gemacht«, meinte Meredith und sah jetzt
Stefano an. »Und meine Eltern hatten einen sehr guten
Grund dafür, meinen Geburtstag zu verlegen.«
»Erzähl uns einfach al es«, schlug Stefano sanft vor. Und
dann spürte Elena etwas, das sie zuvor nicht gespürt hatte.
Ein Aufwal en, wie eine Wel e – eine lange, behutsame
Woge, die sich direkt in das Zentrum von Meredith’ Gehirn
ergoss. Sie sagte ihr: Erzähl es einfach und beruhige
dich. Kein Zorn. Keine Angst.
Aber es war keine Telepathie. Meredith spürte den
Gedanken in ihrem Blut und ihren Knochen, hörte ihn
jedoch nicht mit den Ohren.
Es war Einfluss. Bevor Elena ihren geliebten Stefano mit
ihrer Teetasse erschlagen konnte, weil er eine ihrer
Freundinnen beeinflusste, sagte Stefano, nur für sie
hörbar: Meredith leidet, sie hat Angst und ist zornig. Sie
hat allen Grund dazu, aber sie braucht Frieden. Ich werde
wahrscheinlich ohnehin nicht in der Lage sein, sie
zurückzuhalten, aber ich werde es
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