Tagebuch eines Vampirs 8 - Jagd im Abendrot
statischer Elektrizität erfüllt.
Mrs Flowers’ Lippen bewegten sich lautlos. Und dann, während das
Phantom versuchte sich zu rühren, spannte Mrs Flowers ebenfalls die
Muskeln an. Sie sah dabei so aus, als kämpfe sie gegen etwas erdrückend
Schweres an. Ihre kühlen, eindringlich blauen Augen waren in einem
stummen Kampf auf die gletscherklaren blassgrünen der eisigen Eifer-
sucht gerichtet.
Mrs Flowers’ Blick blieb unerschütterlich fest, aber ihre Arme zitterten
heftig, und Elena wusste nicht, wie lange die alte Dame das Phantom noch
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unter Kontrolle halten konnte. Nicht mehr lange, vermutete sie. Die Sch-
lacht gegen die Kitsune hatte Mrs Flowers viel Kraft gekostet, und sie hatte
sich noch nicht völlig davon erholt. Sie war noch nicht bereit für einen
neuen Kampf.
Elenas Herz hämmerte wie verrückt. Sie konnte es kaum ertragen, die
blutverschmierten Gestalten von Damon und Stefano auf der anderen
Seite der Garage zu betrachten, denn sie durfte auf keinen Fall in Panik
geraten. Sie musste nachdenken.
»Meredith«, sagte Elena energisch und mit einem solch autoritären
Tonfall, dass sich ihre Freunde prompt von dem Kampf zwischen Mrs
Flowers und dem Phantom abwandten, um sie anzusehen. »Beende deinen
Teil des Rituals.«
Meredith schaute Elena für einen Moment verständnislos an, dann riss
sie sich zusammen. Das war eine der vielen wunderbaren Eigenschaften
von Meredith: Man konnte sich immer darauf verlassen, dass sie – was
auch geschah – einen kühlen Kopf bewahrte.
»Ich habe das Phantom der Eifersucht genährt«, sagte Meredith
aufrichtig und schaute auf den Boden, wo ihre dunkelbraune Kerze noch
immer brannte, »aber jetzt weise ich meine Eifersucht von mir.«
Die Kerze erlosch.
Das Phantom zuckte zusammen und verzog das Gesicht, während es
wütend mit den Fingern knackte. Das intensive Rot der Rose in seiner
Brust verblasste kurz zu einem dunklen Rosa, aber dann … blühte sie
erneut blutrot auf. Das Phantom war nicht besiegt, es wirkte lediglich ver-
ärgert. Es ließ Mrs Flowers nicht einen Moment aus den Augen, und seine
Muskeln arbeiteten weiter angestrengt.
Fast alle Kerzen waren nun erloschen. Nur zwei Flammen flackerten
noch, die von der dunkelblauen und der dunkelroten Kerze – nur noch
zwei Opfer, die das Phantom mit ihrer Eifersucht nährten.
Aber sollte das Phantom nicht längst schwächer geworden sein, da ihm
fast alle Opfer entrissen worden waren? Sollte es nicht krank und er-
schöpft sein?
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Elena wandte sich an Alaric. »Alaric«, flüsterte sie. »Was stand in dem
Buch? Müsste der Zauber jetzt nicht langsam anfangen, das Phantom zu
töten?«
Alaric beobachtete den stummen Showdown zwischen Mrs Flowers und
dem Phantom. Er hatte selbst die Fäuste geballt und sein Körper war an-
gespannt, als könne er Mrs Flowers dadurch zusätzlich Stärke verleihen,
und es kostete ein wenig Zeit – Zeit, die wir nicht haben, dachte Elena
wütend –, bis er seine Aufmerksamkeit davon losriss und endlich Elena
ansah. Als Elena ihre Frage wiederholt hatte, richtete er einen analyt-
ischeren Blick auf das Phantom, und eine neue Sorge dämmerte in seinen
Augen herauf.
»Ich bin mir nicht ganz sicher«, antwortete er, »aber das Buch hat na-
hegelegt … das Buch sagte etwas wie: ›Jedes Wort, wahrhaft gesprochen
von seinen Opfern, jede dunkle Emotion, die bewusst zurückgewiesen
wurde, wird dem Opfer die Lebenskraft zurückgeben, die das Phantom
ihm geraubt hat. Mit jedem ehrlichen Wort, das gegen sie gesprochen
wurde, wird die Kreatur weiter zerfallen.‹ Es könnte lediglich Rhetorik
sein, oder vielleicht hatte die Person, die den Zauber niederschrieb, etwas
über das Ritual gehört, es jedoch nie vollzogen gesehen, aber es klingt …«
Er zögerte.
»Es klingt, als sollte der Zauber das Phantom inzwischen langsam
töten«, ergänzte Elena energisch. »Und es sieht so aus, als würde das nicht
richtig funktionieren.«
»Ich weiß nicht, was da schiefgeht«, meinte Alaric unglücklich.
Doch plötzlich passte alles zusammen.
»Aber ich weiß es«, sagte Elena. »Es muss daran liegen, dass dies ein
ursprüngliches Phantom ist, kein gewöhnliches, von menschlichen Emo-
tionen erzeugtes. Wir haben es nicht mit unseren Gefühlen erschaffen, also
können wir es auch nicht einfach zerstören, indem wir ihm diese Gefühle
wegnehmen. Ich denke, wir müssen noch etwas anderes versuchen.«
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Stefano und
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