Tagebuch eines Vampirs 8 - Jagd im Abendrot
Damon kämpften noch immer miteinander, beide blutver-
schmiert und zerschunden, beide aber immer noch dazu in der Lage, ein-
ander bösartig anzugreifen.
Elena überlegte, dass der Kampf der Brüder jetzt wohl aus eigenem An-
trieb erfolgte. Das Phantom, ganz auf seine Schlacht mit Mrs Flowers
konzentriert, murmelte ihnen keine giftigen Ermutigungen mehr zu. Wenn
Damon und Stefano also nicht mehr von der Stimme der Eifersucht ver-
führt wurden, konnte man sie vielleicht dazu bringen, jemand anderem
zuzuhören. Elena bewegte sich vorsichtig, ohne die Aufmerksamkeit des
Phantoms auf sich zu ziehen, auf die beiden Kämpfenden zu.
Damon blutete inzwischen aus dem Hals und aus einer langen Schnit-
twunde an seinem Kopf, und die Haut um beide Augen verfärbte sich. Er
humpelte, aber er gewann sichtlich die Oberhand über Stefano. Stefano
versuchte nur noch, sich seinen Bruder vom Leib zu halten; er hatte sich
etwas zusammengekrümmt, offensichtlich um irgendeine innere Verlet-
zung nicht noch schlimmer zu machen, und von seiner Wange hing ein
Hautfetzen herab.
Damon grinste ihn wild an und kam Schritt für Schritt näher. In seinen
Augen lag eine Wachsamkeit, die von dem Raubtier in seinem Innern kün-
dete, von seiner Freude am Jagen und Töten. Damon musste völlig ver-
gessen haben, wer sein Gegner war, sagte Elena sich. Falls er Stefano ern-
sthaft verletzte oder ihn gar tötete, würde er sich das niemals verzeihen,
sobald er wieder er selbst war. Obwohl ein Teil von ihm dies immer ge-
wollt hat, flüsterte etwas in ihr .
Sie schob den Gedanken beiseite. Ein Teil von Damon mochte Stefano
verletzen wollen, aber der reale Damon wollte das nicht. Der Kampf gegen
das Phantom hatte ihr deutlich gezeigt, dass die dunklen Gefühle, die jeder
in seinem tiefsten Innern verbarg, nicht die ganze Person ausmachten. Sie
waren nicht das wahre Ich.
»Damon«, rief sie. »Damon, denk nach! Das Phantom beeinflusst dich!
Es bringt dich dazu zu kämpfen.« Sie hörte, wie ihre Stimme flehentlich
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anschwoll. »Lass dich nicht von ihm besiegen. Lass nicht zu, dass das
Phantom dich zerstört.«
Doch Damon schien sie nicht zu hören. Er zeigte immer noch dieses
wilde Grinsen und bewegte sich weiterhin auf Stefano zu, wobei er ihn
Schritt für Schritt in eine Ecke der Garage drängte. Ziemlich bald würde
Stefano in der Falle sitzen, außerstande wegzulaufen.
Als Elena einen Blick auf den trotzigen Ausdruck auf Stefanos
geschundenem Gesicht erhaschte, begriff sie mit einem flauen Gefühl im
Magen, dass Stefano auch gar nicht weglaufen würde, selbst wenn Damon
ihm die Chance dazu gab. Jener Teil von Stefano, der Damon hasste, hatte
jetzt die Kontrolle über ihn.
Stefano bleckte die Zähne zu einem grausamen Knurren. Damon holte
mit der Faust zu einem mächtigen Schlag aus, und seine Eckzähne
schärften sich in der Erwartung, das Blut seines Bruders zu trinken.
Schneller, als sie sich je zuvor bewegt hatte – zumindest als Mensch –,
stürzte Elena sich zwischen die beiden. Mit fest zusammengepressten Au-
gen riss sie die Arme auseinander, um Stefano zu beschützen, und erwar-
tete Damons Schlag.
Damon bewegte sich so schnell, dass der Schwung seinen ganzen Körper
vorwärts trug. Sein Hieb würde von unmenschlicher Stärke sein, ihr die
Knochen zerbrechen und ihr Gesicht zerquetschen.
Aber Damon hielt rechtzeitig inne, wie nur ein Vampir es konnte. Sie
spürte den Luftzug des Schlages, seine Fingerknöchel berührten sogar ihr
Gesicht, aber es folgte kein Schmerz.
Zaghaft öffnete Elena die Augen. Damon stand angespannt da,
sprungbereit, einen Arm noch immer erhoben. Er atmete heftig, und seine
Augen glitzerten seltsam. Elena erwiderte seinen Blick.
Leuchtete da in Damons Augen etwa ein ganz klein wenig Erleichterung
auf? Elena glaubte es. Die Frage war nur, ob es Erleichterung darüber war,
dass er sich gebremst hatte, bevor er sie tötete – oder darüber, dass sie ihn
an Stefanos Tötung gehindert hatte? Gewiss hätte Damon sie inzwischen
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aus dem Weg gerissen und Stefano von Neuem angegriffen, wenn er das
wirklich gewollt hätte.
Elena nutzte die Chance und griff nach Damons Faust und legte ihre ei-
gene kleinere Hand um diese blutig geschlagenen Knöchel. Er widersetzte
sich nicht, als sie seine Faust herunterdrückte.
»Damon«, sagte sie leise. »Damon, du kannst jetzt aufhören.« Seine Au-
gen wurden schmal, und sie wusste, dass er sie hören
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