Tagebuch eines Vampirs 8 - Jagd im Abendrot
Das
Fenster der Beifahrerseite stand einen Spaltbreit offen, und die Brise
zerzauste sein sandfarbenes Haar noch etwas mehr. Sie kannten einander
so gut, und doch kannte er noch immer nicht ihr größtes Geheimnis.
Für einen Moment erwog sie, ihm davon zu erzählen, aber er kam ihr
zuvor und sagte: »Sabrina lässt sich nichts anmerken, aber ich weiß, dass
sie Angst hat. Sie ist nicht so zäh wie du.«
Meredith versteifte sich. Nein, dies war nicht der richtige Zeitpunkt, um
Alaric zu erzählen, wer sie eigentlich war. Nicht, wenn sie am Steuer saß.
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Nicht, wenn sie so wütend war. Plötzlich fühlte sich seine Hand auf ihrem
Knie schwer und klebrig an, aber sie wusste, dass sie sie nicht wieder weg-
stoßen konnte, ohne ihre Gefühle zu verraten. Sie kochte innerlich, weil
das Gespräch immer wieder zu Sabrina zurückkehrte. Alaric hatte zuerst
an sie gedacht. Und selbst wenn es um die Gefahr ging, die Meredith jetzt
bedrohte, sprach er wieder von Sabrina.
Alarics Stimme wurde zu einem Summen im Hintergrund, während
Meredith das Lenkrad so fest umklammerte, dass ihre Knöchel weiß
hervortraten.
Warum überraschte es sie eigentlich so, dass Alaric Gefühle für Sabrina
hegte? Meredith war nicht blind. Sie konnte objektiv sein. Sabrina war
klug, weltgewandt, schön. Sabrina und Alaric standen auf fast der gleichen
Stufe in ihrem Leben. Meredith dagegen hatte noch nicht einmal mit dem
College angefangen. Sie war zwar auch attraktiv – dessen war sie sich
durchaus bewusst – und gewiss intelligent. Aber Sabrina war all das und
noch mehr: Sie war Alaric auf eine Weise ebenbürtig, wie es Meredith im
Moment noch nicht möglich war. Sicher, Meredith war eine Vampirjäger-
in. Aber das wusste Alaric nicht. Und wenn er es wüsste, würde er dann
ihre Stärke bewundern? Oder würde er sich von ihr abwenden, weil ihre
Fähigkeiten ihm Angst machten, und sich jemandem zuwenden, der eher
intellektuell orientiert war wie Sabrina?
Eine schwarzer Klumpen des Elends beschwerte Meredith’ Brust.
»Ich komme allmählich zu dem Schluss, dass ich Sabrina am besten von
hier wegbringen sollte – falls ich sie zur Abreise bewegen kann.« Alaric
klang widerstrebend, aber Meredith nahm seine Stimme kaum wahr. Sie
fühlte sich so kalt, als sei sie in Nebel gehüllt. »Vielleicht nach Boston. Ich
denke, du solltest Fell’s Church ebenfalls verlassen, Meredith, falls du
deine Familie dazu überreden kannst, dich für den Rest des Sommers zu
entbehren. Du könntest mit uns kommen, oder hast du vielleicht – wenn
deine Familie damit nicht einverstanden wäre – einen Verwandten, bei
dem du wohnen könntest? Ich mache mir Sorgen, dass du hier nicht sicher
bist.«
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»Bisher ist mir noch nichts passiert«, entgegnete Meredith, überrascht
von der Gelassenheit in ihrer Stimme, trotz der dunkel in ihr brodelnden
Gefühle. »Und es ist meine Pflicht, die Stadt zu beschützen. Wenn du
denkst, dass Sabrina anderswo sicherer ist, dann musst du tun, was ihr
beide für das Beste haltet. Aber du weißt, dass es keine Garantie dafür gibt,
dass die Gefahr ihr nicht folgt. Und hier gibt es wenigstens Leute, die an
diese Gefahr glauben. Außerdem«, fügte sie nachdenklich hinzu, »könnte
die Gefahr für Sabrina bereits vorüber sein. Vielleicht nimmt dieses Etwas,
sobald sein Angriff abgewehrt wurde, die nächste Person ins Visier. Mein
Name ist immerhin erst erschienen, nachdem Stefano Sabrina gerettet
hatte. Wenn es so ist, dann droht die Gefahr jetzt nur noch mir.«
Nicht dass dich das interessieren würde, dachte sie wütend und war
erneut überrascht über sich selbst. Natürlich interessierte es Alaric.
Es war nur so, dass es ihn offensichtlich noch mehr interessierte, was
mit Sabrina wurde.
Sie hielt das Lenkrad jetzt so fest umklammert, dass sich ihre Fingernä-
gel in ihre Handflächen bohrten, während sie hinter Stefanos Wagen von
der Straße abfuhr und auf den Parkplatz von Hot Springs zusteuerte.
»Halt!«, rief Alaric mit Panik in der Stimme, und automatisch trat
Meredith heftig auf die Bremse. Der Wagen kam kreischend zum Stehen.
»Was?«, keuchte Meredith. »Was ist los?«
Und dann sah sie sie.
Dr. Sabrina Dell war aus Matts Wagen gestiegen, um den Weg hinauf zu
den Quellen einzuschlagen. Und Meredith war geradewegs auf sie zuger-
ast. Sabrina stand wie erstarrt da, nur Zentimeter von Meredith’
Stoßstange entfernt; ihr hübsches Gesicht grau vor
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