Tagebuch eines Vampirs 8 - Jagd im Abendrot
flehenden Augen einsetzte, stimmte er un-
willkürlich Plänen zu, die er im tiefsten Herzen für töricht hielt.
Elena nutzte diesen Vorteil. »Du könntest dich außerdem unten ans
Wasser stellen«, fuhr sie fort. »Sollte es dann irgendein Problem geben,
könntest du sofort reinspringen. Du bist so schnell, dass du da wärst, be-
vor überhaupt etwas Schlimmes passieren könnte.«
Stefano wusste, dass das falsch war. Tief in ihm hatte sich die verz-
weifelte Erkenntnis eingebrannt, dass er zu langsam war, um jemanden zu
retten. Einmal mehr sah er vor seinem geistigen Auge den schwarzen, an-
mutigen Blitz, der Bonnie gerettet hatte – jenen kraftvollen, schnellen
Sprung Damons, infolgedessen er von einem der dornenbewehrten Äste
des Großen Baums gepfählt worden war. Damon war gestorben, weil Ste-
fano zu langsam war. Zu langsam, um die Gefahr selbst zu erkennen, um
Bonnie selbst zu retten – und um seinen Bruder zu retten.
Er war auch zu spät gekommen, um Elena zu retten, als sie mit dem
Auto von der Brücke gestürzt und im Fluss ertrunken war. Die Tatsache,
dass sie jetzt wieder lebendig war, machte sein Versagen nicht wett. Er
erinnerte sich noch genau an ihr bleiches Haar, das wie Seetang im kalten
Wasser des Wickery Creek trieb; ihre Hände lagen noch auf dem Lenkrad
und ihre Augen waren geschlossen. Er schauderte. Damals hatte er lange
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tauchen müssen, um sie aus dem Auto zu befreien. Sie war so kalt und
weiß gewesen, als er sie ans Ufer getragen hatte.
Trotzdem nickte er. Was Elena wollte, bekam Elena. Er würde bereit-
stehen und Meredith beschützen, so gut er konnte, und er betete – soweit
das einem Vampir möglich war –, dass das ausreichen würde.
Die übrigen Freunde blieben oben am Rand der Klippe, während Ste-
fano unten das Strudelbecken musterte. Warmer, heller Sand umrahmte
das Becken und schuf einen winzigen Strand. Wo sich der Wasserfall in
das Becken ergoss, spritzte das Wasser fröhlich auf; in der Mitte wirkte es
dunkel und tief.
Matt sprang als Erster, mit einem lauten Jubelschrei. Als er auf das
Wasser traf, spritzte eine gewaltige Fontäne auf, und Matt schien eine
Ewigkeit unter der Oberfläche zu bleiben. Stefano beugte sich vor, um das
Wasser zu beobachten. Durch die Gischt, die der Wasserfall aufschäumen
ließ, konnte er nichts erkennen, und ein ängstliches Beben erschütterte
seinen Magen.
Gerade fasste er den Entschluss, hinter ihm herzuspringen, als Matts
glatter, nasser Kopf die Wasseroberfläche durchbrach. »Ich hab den
Boden berührt!«, brüllte er grinsend, dann schüttelte er wie ein Hund den
Kopf, sodass glitzernde Wassertröpfchen in alle Richtungen flogen.
Er schwamm auf Stefano zu. Seine starken, gebräunten Gliedmaßen be-
wegten sich machtvoll, und Stefano schoss der Gedanke durch den Kopf,
dass bei Matt alles so leicht und unkompliziert schien. Er war schlicht und
einfach ein Geschöpf des Sonnenlichts – während Stefano in der Dunkel-
heit festsaß und ein langes Halbleben voller Geheimnisse und Einsamkeit
führte. Sicher, sein Lapislazuli-Ring ermöglichte es ihm, sich in der Sonne
aufzuhalten, aber wenn er wie heute für lange Zeit dem Sonnenlicht ausge-
setzt war, fühlte er sich unbehaglich. Und jetzt war es sogar noch schlim-
mer, da er sich wieder an tierisches Blut gewöhnen musste. Sein Unbeha-
gen erinnerte ihn einmal mehr daran, dass er nicht wirklich hierher ge-
hörte. Nicht so, wie Matt es tat.
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Er schüttelte seine düsteren Gefühle ab und war davon überrascht, dass
sie überhaupt aufgetaucht waren. Matt war ein guter Freund. Das war er
immer gewesen. Es musste das Sonnenlicht sein, das ihm zu schaffen
machen.
Bonnie sprang als nächste und kam schneller wieder an die Oberfläche.
Hustend und schnaubend rief sie: »Uff! Ich hab Wasser in die Nase
gekriegt! Uh!« Sie stieg aus dem Wasser und hockte sich auf einen Felsen
zu Stefanos Füßen. »Schwimmst du nicht?«, fragte sie ihn.
Erneut blitzte eine Erinnerung in Stefano auf. Damon, wie er muskulös
und gebräunt auf ihn zugeschwommen kam und in einem seiner seltenen
Anfälle von guter Laune laut gelacht hatte. Das war jetzt Hunderte von
Jahren her. Damals, als die Salvatore-Brüder noch im Sonnenlicht gelebt
hatten, damals, noch lange bevor selbst die Urururgroßeltern seiner Fre-
unde geboren worden waren. »Ich bin schon lange nicht mehr geschwom-
men«, antwortete er.
Elena sprang mit der gleichen
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