Tanz der Sinne
und Rafe braucht jede Stimme, die er kriegen kann. Deswegen hat er mich hergeholt.« Nicholas ließ sich lässig in den Sessel fallen und streckte seine langen Beine. »Es ist an der Zeit, diesen Krieg zu einem Ende zu bringen.
Er hätte nie ausbrechen dürfen.«
»Nur allzu wahr. Es war Wahnsinn, sich mit den Amerikanern einzulassen, während wir mit Napoleon um unser Leben kämpfen. Je eher wir Frieden schließen, um so besser.«
»Ganz besonders, da unsere aufmüpfigen Vettern angefangen haben, Schlachten zu gewinnen«, sagte Nicholas trocken.
Lucien fragte: »Wie geht es meiner Lieblingsgräfin?«
»Clare ist gelassen wie immer.« Nicholas lächelte schuldbewußt. »Ich dagegen bin ein reines Nervenbündel. Sie behauptet, es gibt überhaupt keine Veranlassung dazu, weil sie aus einer langen Reihe von robusten Bauersfrauen abstammt, die eine halbe Stunde nach der Geburt ihrer Kinder wieder auf dem Feld sind. Sie hat natürlich recht, aber ich werde heilfroh sein, wenn das Baby erst einmal da ist.«
Lucien holte den mechanischen Pinguin aus einer Schublade. »Das hier ist mein Taufgeschenk. Du kannst es mit nach Wales nehmen.«
»Was hast du diesmal gezaubert?« Nicholas zog das Spielzeug auf. Als der Pinguin anfing, seine Purzelbäume zu machen, sank Nicholas hilflos vor Gelächter in seinem Sessel zusammen. »Was für eine ausgeprägte Phantasie du hast, Luce«, keuchte er, als er wieder sprechen konnte. »Clare wird begeistert sein. Aber was willst du machen, wenn wir noch mehr Kinder bekommen?«
»Pinguine können noch andere Kunststücke.
Schwimmen. Auf ihren Bäuchen rutschen. Tanzen.
Wir werden sehen.«
Nicholas griff wieder nach dem Pinguin. Dabei entdeckte er die Skizzen, die auf dem Tisch verstreut lagen. Er hob eine hoch und studierte sie. »Ein interessantes Gesicht. Voll Charakter und Intelligenz. Bist du verliebt?«
»Ganz und gar nicht«, sagte Lucien wegwerfend.
»Sie ist nichts weiter als ein weibliches Wesen, das mir mehr Ärger macht als ein Sack Flöhe.«
Sein Freund schmunzelte. »Klingt
vielversprechend. Wann dürfen wir die freudige Botschaft erwarten?«
Lucien verdrehte die Augen. »Versuch nicht, mich von den Vorteilen der Ehe zu überzeugen. Es gibt nur eine Clare, und du hast sie zuerst entdeckt.
Da ich mich weigere, mich mit weniger zufriedenzugeben, bin ich dazu verdammt, den Rest meiner Tage als Junggeselle zu verbringen.
Deine Kinder können mich Onkel Lucien nennen und hinter meinem Rücken über meine Absonderlichkeiten lachen.«
Nicholas’ feines Gespür erlauschte die Trübsal, die hinter der heiteren Fassade lauerte, und er warf Lucien einen scharfen Blick zu. »Ganz nebenher«, sagte er langsam, »Clare meint, der Grund dafür, daß die Gefallenen Engel so vertraut miteinander sind, ist, daß keiner von uns eine richtige Familie gehabt hat und wir eine für uns finden mußten.«
Diese Einsicht kam so unerwartet und traf so genau, daß sie Lucien momentan die Sprache verschlug. Schließlich sagte er: »›Ganz nebenher‹
in der Tat. Wie ist das Leben mit einer Frau, die so viel sieht?«
»Manchmal beunruhigend.« Nicholas grinste.
»Aber meistens wundervoll.«
Lucien beschloß, das Thema zu wechseln, bevor sein Neid zu offensichtlich wurde. »Hast du irgendwelche interessanten Neuigkeiten von deinen Zigeunerfreunden?«
Nicholas’ Lächeln verblaßte. »Das ist einer der Gründe, weshalb ich mit dir sprechen wollte. Ein entfernter Cousin, mit dem ich neulich auf dem Kontinent gereist bin, hat eine Nachricht nach Aberdare geschickt. Er sagt, es gibt hartnäckige Gerüchte, daß Napoleon beabsichtigt, im Triumph aus dem Exil zurückzukehren.«
Nicholas war mehrere Jahre mit den Zigeunern kreuz und quer durch Europa gewandert. Die Roma kamen überall herum und hörten alles, und die Informationen, die sie nach London geschickt hatten, waren unschätzbar gewesen. In der Hoffnung, daß sein Freund sich diesmal irrte, sagte Lucien: »Etwas anderes war von dem Korsen auch nicht zu erwarten. Er ist eine lebende Legende.«
»Das ist wahr, aber das hier geht weit darüber hinaus«, erwiderte Nicholas. »Mein Cousin sagt, die Agenten des Kaisers haben heimlich in ganz Frankreich die Stimmung im Volk erkundet und sind zu dem Schluß gekommen, daß die Mehrheit der Bevölkerung den Kaiser unterstützen würde.
Er hat auch gehört, daß es mächtige Männer unter den Alliierten gibt – Engländer, Preußen und Österreicher –, die Napoleon helfen
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