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Tausendschön

Tausendschön

Titel: Tausendschön Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Ohlsson
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kurz vor Mitternacht. Die Männer bewegten sich wie Geister in der Wohnung. Er konnte hören, wie sie durch die Küche gingen und Türen und den leeren Kühlschrank öffneten. Er hoffte inständig, dass es an dem neuen Ort wieder etwas zu essen gäbe.
    Sie gingen die Treppe hinunter. Der Arabisch sprechende Mann vorn, Ali in der Mitte und die anderen am Schluss. Draußen auf dem Bürgersteig sah Ali hoch und bekam Schnee in die Augen. In diesem Teil der Welt gab es so viel Wasser in den unterschiedlichsten Formen.
    Das Auto war größer. Es erinnerte mehr an einen Minibus. Ali durfte ganz hinten zwischen den beiden unbekannten Männern sitzen. Die Tasche, die er bekommen hatte, wurde in den Kofferraum gelegt. Der eine Mann trug einen langen Mantel und erinnerte Ali an einen Schauspieler. Der andere sah gruselig aus. Er war entstellt, als hätte jemand sein Gesicht mit dem Messer in zwei Teile geteilt und schief wieder zusammengenäht. Als der Mann merkte, dass Ali ihn anstarrte, wandte er langsam den Kopf und sah ihn an. Instinktiv senkte Ali den Blick.
    Sie fuhren durch ein Wohngebiet, in dem alle Häuser gleich aussahen. Dann weiter auf einer breiteren Straße, auf der die Autos immer schneller fuhren. Ali sah mal nach rechts, mal nach links aus dem Fenster. Und dann tauchte es plötzlich rechts von ihm auf. Es war noch weit entfernt, aber dennoch deutlich zu sehen, etwas, das aussah wie ein gigantischer weißer Ball, erleuchtet wie ein Tempel.
    » Globen«, sagte der Mann neben ihm.
    Ali sah geradeaus. Wie oft saß man schon in einem Auto, ohne zu wissen, wohin man fuhr?
    Die Nacht schloss sich um das Fahrzeug, und seine Lider wurden schwer.
    Irgendwann, dachte er erschöpft, irgendwann muss diese lange Reise doch zu Ende gehen.

Bangkok
    Sie konnten sie nicht dazu zwingen, sich zu stellen. Aber Unterschlupf durften sie ihr auch nicht gewähren. Mit dem Rat, sich so schnell wie möglich mit der lokalen Polizeidienststelle in Verbindung zu setzen, schob man sie vor die Tür. Sie lief um ihr Leben, planlos, die Sukhumvit hinunter. Doch die Anstrengung war zu groß, und ohne Essen und Trinken im Leib und mit Temperaturen um die vierzig Grad reichte die Kraft schon nach wenigen Blocks nicht mehr aus. Sie musste stehen bleiben und nachsehen, wo sie sich befand. Ihr Orientierungssinn schien nicht mehr zu funktionieren, sie konnte nicht einmal mehr sagen, in welche Richtung sie gelaufen war.
    Irgendjemand, wer auch immer, dachte sie erschöpft, muss doch bestätigen können, dass ich wirklich ich bin.
    All ihre Pläne waren zunichtegemacht. Sie konnte sich nicht mehr leisten, zwischen Freunden und Bekannten zu wählen und abzuwägen, wem sie sich wohl anvertrauen mochte. Jetzt brauchte sie alle Hilfe, die sie kriegen konnte.
    Die Knie gaben unter ihr nach, und sie sank auf dem Bürgersteig zusammen. Der letzte Rest Vernunft entglitt ihr.
    Denken, denken, denken, ermahnte sie sich selbst. Was ist momentan mein größtes Problem?
    Der Mangel an Geld war akut, aber damit konnte sie umgehen. Das Fehlen von Kontaktmöglichkeiten zu ihren Lieben und dass sie weder zu ihren E-Mails noch zu einem Handy Zugang hatte, belastete sie mehr. Doch konnte sie sich eine Telefonnummer von woanders besorgen, und sie konnte auch einen neuen Mail-Account einrichten.
    Vor allem aber musste sie ihren Vater erreichen, denn es war durchaus möglich, dass auch er in Gefahr schwebte.
    Ihr Blick wurde trüb, als sie an ihn dachte. Warum ging er nicht ans Telefon? Und ihre Mutter? Wohin waren sie nur verschwunden?
    Sie zählte ihr letztes Geld, es würde für eine halbe Stunde Internet und ein oder zwei Ferngespräche reichen. Dann ist nichts mehr übrig, dachte sie und kämpfte gegen die Panik an, die sie zu überwältigen drohte.
    Der Cafébesitzer war ein freundlicher Mann, der ihr, als sie vor dem Computer Platz genommen hatte, einen Kaffee gratis brachte. Sie arbeitete schnell und effektiv. Suchte die Telefonnummern einer Handvoll Personen zusammen, denen sie vertraute, und notierte sie. Rief Hotmail auf und eröffnete ein neues E-Mail-Konto. Nach kurzem Zögern beschloss sie, für die neue E-Mail-Adresse nicht ihren eigenen Namen zu verwenden, sondern wählte ein Pseudonym. Die Finger bewegten sich behände über die Tastatur, und sie verfasste eine kurze, konzentrierte Mail an ihren Vater, die sie sowohl an seine private als auch an seine Kirchenadresse schickte. Der Freund, an den sie sich zuvor gewandt hatte, kam nicht mehr infrage. Oder

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