Tee macht tot
kam.
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In aller Eile suchte Esther Friedrichsen in ihrem Zimmer, ihre Sportsachen zusammen. Ärgerlich stellte sie fest, dass sich die Nervosität der anderen bereits auf sie übertragen hatte. Früher wäre sie in so einer Situation geduldiger gewesen, doch heute und in ihrem Alter, brachte sie das aus der Fassung. Früher wäre sie Menschen wie Agatha auch einfach aus dem Weg gegangen, doch hier blieb dafür nicht viel Bewegungsspielraum. Ohne Agatha eines Blickes zu würdigen, schritt sie an ihr vorbei. Gleich würde ihr Qi-Gong-im-Alter-Kurs beginnen.
Im Aufzug versuchte sie, die Anspannung abzuschütteln; so wie sie es gelernt hatte. Tief atmete sie in den Bauch hinein, hielt den Atem einen Moment an, um ihn dann durch den Mund wieder hinauszublasen. Ein bisschen half es, aber leider nicht so, dass sie ihre Gedanken fliegen lassen konnte. Sicherlich würde es, wenn der Kurs erst begonnen hätte, besser werden. Esther freute sich darauf und öffnete rasch die Tür zum Sportraum.
Verwundert sah Esther hinein. Niemand war zu sehen. In der Raummitte waren Stühle zu einem Kreis gestellt. Auf der anderen Seite des Raumes wurde in diesem Moment die WC-Tür entriegelt und Frau Wang, die Gymnastik- und Qi Gong Lehrerin trat heraus. Ihre nassen Hände schüttelnd, tanzte sie vor sich hin. Ihr schwarzes Haar flog ihr dabei förmlich um die Ohren.
„Frau Friedrichsen“, rief Frau Wang überrascht aus, als sie Esther erblickte. Sofort unterbrach sie ihren chinesischen Rumbatanz - oder was es auch gewesen sein mochte - und schritt leichten Fußes durch den Raum. „Wo waren Sie denn? Ich habe Sie heute vermisst.“
Irritiert blickte Esther sie an. „Warum vermisst?“
„Sonst lassen Sie sich doch nie von ihrem Kurs abhalten? Ging es Ihnen heute nicht gut?“
Esther blickte auf ihre Uhr. Tatsächlich! Es war bereits 16:30 Uhr. Kursbeginn war 15:30 Uhr. Kein Wunder, dass niemand mehr hier war. Enttäuscht schloss Esther Friedrichsen die Augen. Ihr Herz machte einen gewaltigen Satz. Nervös zuckten ihre Lider. Wie um alles in der Welt hatte das geschehen können? Das war ihr noch nie passiert, dass sie die Uhrzeit verwechselte. Langsam drehte sich Esther um. Mist dachte sie, diese Agatha macht mich schon ganz kirre.
„Wollen Sie zur Ballgymnastik bleiben?“, rief Frau Wang ihr hinterher.
„Nein!“ Fast bockig blieb Esther stehen. „Das ist nicht mein regulärer Kurs.“
„Machen Sie doch einfach mal eine Ausnahme!“
Einen Moment dachte Esther über diesen Vorschlag nach. Sollte sie wirklich im Stuhlkreis sitzen und sich gegenseitig einen Ball zuwerfen?
„Nein“, wiederholte sie und verabschiedete sich. Für Ballgymnastik war sie wirklich noch zu jung.
Die Nervosität ihrer Nachbarn übertrug sich immer weiter auf Esther; so kam es, dass sie kurz darauf den Beichttag mit dem monatlich stattfindenden Gemeinschaftstag verwechselte. Als sie an der Abfahrtsstelle des Gemeinschaftsbusses stand und sich wunderte, warum niemand mitfuhr, kam im stillen Gebet Pfarrer Johann vorbeigeschlendert. Ohne sein Schäfchen weiter zu beachten, ging er an ihr vorüber. Esther Friedrichsen sah im hinterher, und als sie schon dachte der Pfarrer würde um die Ecke biegen, machte er kehrt. „Frei von Sünde?“, fragte er behutsam.
„Warum“, wollte sie misstrauisch wissen. Hatte der Pfarrer vielleicht doch noch seine Meinung, zum Kamillentee geändert?
„Nun“, sprach er. „Deine 14tägige Beichte hast du heute entfallen lassen. Was wäre ich für ein Pfarrer, wenn mir eines meiner Schäfchen abhandenkäme und mir das nicht auffallen würde?“ Gütig sah er sein verlorenes Schaf an.
Esther verzog den Mund. „Die Beichte also. Ist denn heute ein ungerader Samstag?“
„Ja“, sagte Pfarrer Johann aufhorchend. „Hast du das etwa vergessen? Stimmt etwas nicht? Geht es dir gut?“ Sein Gesicht zeigte Besorgnis.
„Ja, ja“, winkte Esther seine Befürchtung, sie hätte erste Anzeichen der Alzheimer, ab. „Ich hab da nur etwas verwechselt.“ Mit Sorgenfalten in der Stirn tapste sie davon.
Und als wären die unplanmäßigen Umstellungen ihres Tagesablaufes nicht schon genug, saß sie am nächsten ersten Montag wartend im Beichtstuhl, während sich fröhliche Senioren zum Gemeinschaftstag aufmachten. Es wurde schlimm, so richtig schlimm. Das Chaos war perfekt, als Esther auch noch den Gipskurs im Keller mit ihrem Friseurtermin verwechselte.
„Sie sollte sich nicht so viele Gedanken
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