Tee macht tot
ihn ein weiteres Mal zu heiraten.
Frieda waren Tränen der Rührung in die Augen getreten. Sie bat daraufhin ihren Reinhold, dass sie das Gleiche tun mögen, wenn es soweit wäre, sofern er das ebenfalls wolle. Natürlich wollte er; gegenseitig versprachen sie sich Liebe über den Tod hinaus.
Ein lautes Donnern ließ Frieda zusammenfahren. Eilig setzte sie ihre Beine wieder in Bewegung und las sich weitere Namen vor. Von den Nächsten kannte sie allerdings niemanden mehr, aber man konnte schließlich nicht jeden kennen.
Frieda drehte sich einmal im Kreis und sah die Kapellenspitze hinter den Kastanien emporragen. Ein Stein fiel ihr vom Herzen, denn jetzt hatte sie wenigstens ein sichtbares Ziel vor Augen. Dorthin wollte sie, während des immer stärker werdenden Sturms eilen, um auf ihren Reinhold zu warten. Vielleicht traf sie ja auch den Herrn Pfarrer, und der konnte sie dann zurückgeleiten. Sie musste einfach nur immer geradeaus gehen. Mit neuer Hoffnung, den Blick immer auf den Boden gerichtet, machte sich Frieda auf den Weg. Eins, zwei, drei, vier Schritte, bis sich der Untergrund veränderte. Da erst blickte sie auf und stellte fest, dass sie mitten in ein Grab gelaufen war: Marie-Luise Rieger, geboren 17.07.1939, gestorben 23.02.2011. Frau Rieger hatte sie nicht persönlich gekannt, dennoch entschuldigte sich Frieda artig und trat vom Grab herunter. Um zur Kapelle zu gelangen, blieb ihr nichts anderes übrig, als den gewundenen Wegen zu folgen.
„Du schaffst das!“, ermutigte sie sich und bog dem Weg folgend, einmal rechts, einmal links, zweimal links und wieder einmal rechts ab. Immer wieder verzweigten sich die angelegten Wege zwischen den Grabreihen, führten sie hierhin und dorthin, und ehe sie sich versah, hatte sich die kleine Frieda von der Kapelle wieder entfernt.
Das Herz klopfe ihr bis zum Hals, während der Wind so stark an ihr riss, dass sie gegen das Denkmal von Hermine Becker gedrückt wurde. Die Angst ließ ihre Knie weich werden. Eilig kauerte sie sich hinter den Grabstein. Sie würde es nie zur Kapelle schaffen, überfiel es sie bange; deshalb entschloss sie sich, einfach am Grab von Hermine Bauer zu warten.
In der kleinen Kapelle fand sich zu diesem Zeitpunkt gerade die Trauergesellschaft zusammen die, vom Sturm überrascht, die Flucht ergriffen hatte. Kaum, dass die letzte Lilie ihren Weg in die Tiefe gefunden hatte, rannten die Trauernden in gebotener Eile in Richtung Kirche und die Totengräber, die das Zuschütten des Grabes auf später verlegt hatten, in Richtung ihres Autos. Allein wurde Desiree Nabel in der Grube zurückgelassen.
Niemand von ihnen ahnte, dass sich vier Wegkreuzungen hinter ihnen eine kleine Frau schutzsuchend hinter einem Grabstein zusammengekauert hatte.
33
Pfarrer Johann, der damals noch als Paul Findling bekannt war, wurde mit 22 Jahren einberufen. Nicht, dass er es wollte, denn er wurde nicht gefragt. Niemand wurde gefragt. Wer alt genug und gesund war, hatte seinen Dienst zu tun oder Fahnenflucht zu begehen. Sich als Kriegsverweigerer erwischen zu lassen, hatte jedoch ein unangenehmes Ende zur Folge, weswegen Benedikt Findling diese Option nicht in Erwägung zog. Lieber wollte er sein Glück versuchen und den Krieg überleben.
Die Nachricht, dass Paul Findling sein Vaterland verteidigen müsse, ließ seine Mutter, die schon ihren Mann in diesem elenden Krieg verloren hatte, in Tränen ausbrechen. Warum nur habe er diesen Mann mit seinem hässlichen Schnauzer an die Macht kommen lassen, rief sie Gott an. Sie flehte darum, dass er über ihren Jungen seine schützende Hand halten möge. Möge er ihn vor Unheil bewahren und den Weg zu Frieden und Freude finden lassen! Danach gab sie ihrem Jungen einen Kuss. Das war das letzte Mal, dass er seine Mutter gesehen hatte.
Dieser Krieg forderte ein, was ihm nicht zustand. Unzählige Menschenleben, unzählige Obdachlose, unzählige Verletzte. Paul Findling begegnete dem Tod öfter, als ihm lieb war. Nicht, dass der Tod von ihm persönlich etwas wollte, obwohl es an dem Tag, als Paul Findling sich entschied, Pfarrer zu werden, doch sehr knapp war.
Als die Alliierten einen weiteren ihrer unzählig zerstörerischen Luftangriffe über Berlin flogen, war Paul Benedikt Findling mit sieben seiner Kameraden gerade auf Heimaturlaub. Doch von fröhlicher Urlaubsstimmung waren sie weit entfernt. Ganze Straßenzüge lagen in Schutt und Asche; helfende Hände waren überall zu
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