Tempus (German Edition)
auch wieder an die Arbeit.« Ihre Miene war undurchdringlich. Eilig steuerte ich auf das Haus zu. Ich konnte Filippas Blick auf meinem Rücken spüren.
Abschied
Am nächsten Morgen war Marcius komplett fieberfrei. Ich sah es sofort, als ich in seine Augen schaute. Für alle Fälle legte ich prüfend meine Hand auf seine Stirn, die erwartungsgemäß nicht mehr glühte. Die Entzündung musste also endlich abgeklungen sein. Gespannt nahm ich seinen Verband ab und betrachtete die Wunde. Wie ich gehofft hatte, war sie nicht mehr eitrig, sondern hatte eine den Umständen entsprechende normale, hellrote Farbe angenommen.
»Die Wunde heilt langsam. Wenn du dich schonst, bist du bald wieder ganz gesund«, bemerkte ich nicht ohne Stolz.
Marcius schaute mich kurz an und nickte wortlos. Sein Vater, der in Begleitung von Kleon ins Zimmer gekommen war und meine letzten Worte gehört hatte, sagte eine Spur weniger näselnd als üblich: »Das sind gute Nachrichten!«
Einen Moment lang herrschte Stille. Mein Räuspern klang dadurch ungewöhnlich laut.
»Da es ihm besser geht, würde ich gern zu meinem Vater zurückkehren!«
»Ich denke, du solltest so lange bleiben, bis die Fäden gezogen werden müssen«, antwortete Lucius.
»Das ist gegen unsere Abmachung. Du hast – ähm – ich meine, Ihr habt gesagt, wenn ich Marcius heile, darf ich gehen. Er ist gesund! Ihr müsst Euer Versprechen halten!« Ich merkte, wie meine Lippen beim Sprechen zitterten.
»Was fällt dir ein, so mit dem Senator zu sprechen?«, fuhr mich Kleon an.
»Das ist nicht fair. Ihr habt es versprochen!«
Lucius’ Miene wurde hart. »Er ist erst wieder gesund, wenn du die Fäden gezogen hast. Bis dahin wirst du bleiben!«
»Aber das wäre ja erst in zwei, drei Tagen! Ich kann Filippa zeigen, wie man Fäden zieht. Sie kann es machen, wenn es so weit ist. Bitte!«
»Lasst sie gehen! Wir brauchen sie nicht mehr«, mischte sich Marcius unerwartet ein. Die ganze Zeit über hatte er geschwiegen. Jetzt wandte er sich an Lucius und Kleon. Mich dagegen würdigte er keines Blickes. Er tat fast so, als wäre ich gar nicht im Raum. Dabei war ich es gewesen, die ihn tagelang gepflegt hatte.
»Wie du meinst. Es ist deine Entscheidung.« Lucius hatte die Arme auf dem Rücken verschränkt und ging vor Marcius’ Bett auf und ab. »Wir können nur hoffen, dass sie niemandem etwas von deiner Verletzung erzählt.«
»Das werde ich nicht tun«, versicherte ich schnell.
»Wenn doch, wirst du es bereuen«, knurrte Kleon. Ich hasste ihn für diese Bemerkung. Genauso wie für die Ohrfeige, die er mir gegeben hatte.
»Sie soll gehen«, befahl Marcius mit matter Stimme und schloss die Augen, so als könnte er meinen Anblick nicht länger ertragen. Fassungslos starrte ich ihn an.
»Nun denn, so sei es. Kleon, bring das Mädchen zu seiner Herberge oder wo immer es auch hin möchte!« Lucius fügte sich seinem Sohn mit zusammengekniffenen Lippen. Zum zweiten Mal seitdem ich hier war, fiel mir auf, dass Marcius’ Wort etwas zählte. Hedda und Erik hatten, soweit ich mich erinnerte, noch nie auf mich gehört, und so viel jünger als Marcius war ich nicht.
»Danke. Ich werde jetzt Filippa holen, um ihr zu zeigen, wie man die Fäden zieht«, murmelte ich.
»Das ist nicht nötig.« Kleon hielt mich zurück und klatschte in die Hände. Sogleich erschien eine junge Sklavin, deren Name ich nicht kannte, die ich aber schon ein paar Mal zuvor gesehen hatte.
»Bring mir Filippa«, herrschte Kleon sie an. Ich ahnte, dass sein Ärger mir galt. Das Mädchen, das nichts für seinen Unmut konnte, rauschte mit eingezogenem Kopf davon.
Kurze Zeit später erschien Filippa mit demütig gesenktem Blick: »Ja, Herr?«
»Die Germanin wird uns noch heute verlassen. Deshalb wird sie dir zeigen, wie man die Fäden zieht, damit du es dann machen kannst«, sagte Lucius mit einer Stimme, die mich frösteln ließ. Ich wusste, dass er meinen Namen kannte, aber er benutzte ihn nicht. Stattdessen bezeichnete er mich als Germanin, obwohl ich ihm mehrfach gesagt hatte, dass ich keine sei.
Ich gab mir alle Mühe, mich nicht darüber zu ärgern und winkte Filippa zu mir ans Bett. Mit weit aufgerissenen Augen folgte sie meiner Aufforderung. Wie entsetzt wäre sie wohl erst gewesen, wenn sie geahnt hätte, dass ich ihr etwas erklären wollte, was ich selbst noch nie gemacht, sondern nur bei meinen Eltern beobachtet hatte?
Es war eine absurde Situation. Filippa und ich standen über Marcius’ Bein
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