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Terra Madre

Terra Madre

Titel: Terra Madre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlo Petrini
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geworden wie alles andere auch, wie Erdöl, Holz oder sonstige Handelsgüter, deren Preis auf der ganzen Welt von den internationalen Börsen festgelegt wird. Weizen, Mais, Kaffee und Kakao wurden genauso wie Metalle oder Energie zu commodities, also Waren, die dem Gesetz von Angebot und Nachfrage unterliegen und ohne qualitative Unterscheidung auf den Markt geworfen werden. Die Erzeuger genießen praktisch keinerlei Wertschätzung.
    Die Unterwerfung der Lebensmittel unter die Marktgesetze führt zu ihrer Standardisierung, was wiederum auf Kosten der Biodiversität geht und die für die Umwelt schädlichen Monokulturen fördert. Alles das zieht große Ungerechtigkeiten nach sich. Vor allem in der südlichen Hemisphäre haben sich ganze Länder – häufig als Folge ihrer kolonialen Vergangenheit oder eines neo-kolonialistischen Erbes – auf die Erzeugung bestimmter Produkte spezialisiert und geraten regelmäßig in große Schwierigkeiten, wenn der Preis dafür abstürzt.
    Die Tatsache, dass man Lebensmittel nur noch kauft und nicht mehr selbst erzeugt, führt vor allem bei der Bevölkerung jener Länder, die eine rasche Verstädterung durchmachen, zu großer Armut. Hunger und Unterernährung nehmen zu.
    Nehmen wir als Beispiel einen Bauern aus einer armen Region, der sein trostloses Leben auf dem Land aufgibt und in die Stadt abwandert. Dort wird er aufhören, das Wenige anzubauen, das ihm und seiner Familie bis dahin ein würdiges Überleben, wenn auch in Armut, ermöglicht hat. Und wenn er nicht das Glück hat, in der Stadt eine gut bezahlte Arbeit zu finden, kann er sich und die Seinen nicht mehr ernähren. Statt dem Wenigen wird er gar nichts mehr haben – außer Hunger. Statt in Armut wird er im Elend leben.
    Der Preis dafür, dass die Lebensmittel ihren Wert verloren haben, ist ihre völlige Kommerzialisierung, im Norden wie im Süden. Die Menschen müssen wieder verstehen lernen, dass bestimmte Handlungsweisen und Praktiken wertvoll sind, auch wenn sie aus monetärer Sicht nicht lohnend erscheinen – etwa zu Hause Früchte einzukochen –, weil ein Fertigprodukt mit Sicherheit weniger kostet. Aber sie sind ein Gewinn im Hinblick auf Geselligkeit und persönliche Befriedigung, sie dienen der Gemeinschaft, der Rettung der Umwelt, mit anderen Worten: Sie steigern unser Wohlbefinden.
    Im Namen der Religion des Geldes haben wir schreckliche Katastrophen auf dieser Welt heraufbeschworen. Die Lebensmittel, die ihrer wahren Bedeutung beraubt sind, werden uns am Ende aufessen. Indem man ihnen ihre kulturellen, sozialen und umweltschonenden Werte abspricht, werden sie vom Objekt der Zuwendung, der Pflege und des Stolzes zu einem Ungeheuer, das eine soziale und ökologische Wüste hinterlässt und überall Ungerechtigkeit sät. Wir glauben, Lebensmittel sorglos verschwenden zu können, doch am Ende bleiben wir allein und verunsichert zurück.
    Die Lebensmittel essen die Umwelt auf
    Durch die beschleunigte Industrialisierung im Agro-Lebensmittelsektor wird, wie in anderen Bereichen auch, die Qualität zugunsten von Quantität und Produktivität, von standardisierten und in Serie herstellbaren Produkten in den Hintergrund gedrängt. Doch die Natur ist das Gegenteil von all dem: Sie ist komplex, unbestimmt, vielfältig und multifunktional.
    Die industrielle Landwirtschaft (welch ein Widerspruch!), die industrielle Weiterverarbeitung der Produkte, die Verteilung über fünf Kontinente von Lebensmitteln, die ebenso gut vor Ort angebaut werden können, das Diktat der Preise und die Gesetze des freien Marktes haben dazu geführt, dass die Lebensmittelbranche zu einem der am wenigsten nachhaltigen Felder menschlicher Tätigkeit wurde.
    In den letzten hundert Jahren ging die Biodiversität sehr stark zurück. Für die ausgedehnten Monokulturen, aus denen die Industrie große Mengen an Lebensmitteln zu niedrigen Preisen gewinnt, sind nur wenige Sorten geeignet. Allein in den Vereinigten Staaten, die den ersten Platz bei der industriellen Landwirtschaft einnehmen, verschwanden zwischen 1903 und 1983 80,6 Prozent aller Tomatensorten, dazu 92,8 Prozent aller Salat-, 86,2 Prozent aller Apfel-, 90,8 Prozent aller Maissorten und sogar 96,1 Prozent der Süßmaissorten. Von den 5.000 existierenden Kartoffelsorten werden praktisch nur vier für den Handel in den USA angebaut; zwei Erbsensorten besetzen 96 Prozent der amerikanischen Anbauflächen für Erbsen, sechs Maissorten 71 Prozent aller Maiskulturen. Überall auf der Welt, wo die

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