Terror: Thriller (German Edition)
Nieselregen. Erst die Zentrale informieren und dann die Glocken ausschalten. Fabrizio ging zum Wagen. Er öffnete die Fahrertür und ließ sich auf den Sitz fallen. Er griff nach dem Funkgerät und stellte fest, dass es tot war. Er drückte alle Knöpfe des Gerätes – es tat sich nichts.
»Das gibt’s doch nicht«, murmelte er ungläubig. Das Funkgerät hatte noch funktioniert, als sie in Lenzari angekommen waren. Er erinnerte sich an den Funkspruch der Zentrale, die den Unfall bei Finale durchgegeben hatte. Da stand er schon auf dem Platz, und Cesare hatte versucht, die Glocken auszuschalten. Fabrizios Blick fiel auf den Zündschlüssel, der noch immer im Schloss steckte. Er trat die Kupplung und drehte den Zündschlüssel. Nichts. Der Motor sprang nicht an. Für einen Moment saß Fabrizio wie gelähmt hinter dem Steuer. Das konnte kein Zufall sein, und es ließ nur einen Schluss zu: Jemand hatte sich am Wagen zu schaffen gemacht, während sie in Elisa Noès Haus waren.
Fabrizio vergewisserte sich, dass seine Waffe in der Pistolentasche steckte, und stieg aus dem Wagen. Er sah sich vorsichtig um. Nieselregen und Nebel hatten das ganze Dorf eingehüllt, und jedes Geräusch wurde von den Glocken übertönt. Perfekte Bedingungen für jeden, der sich hier verstecken wollte. Er musste die Glocken ausschalten. Er setzte seine Schritte mit Bedacht und sah sich immer wieder um, während er zum Glockenturm ging.
Zwischen Fels und Glockenturm war ein schmaler Durchgang, ein Torbogen darüber. Fabrizio ging darauf zu. Der Torbogen war niedrig, er musste den Kopf einziehen. Außerdem war der Durchgang sehr schmal, siebzig Zentimeter vielleicht. Fabrizio wäre fast über einen Karton gestolpert, der auf dem Boden lag. Er war voller Abfall. Er schob ihn mit dem Fuß zur Seite. Rechts in einer Nische des Mauerwerks befand sich der ENEL -Kasten. Hier musste sich doch irgendwo der Strom abstellen lassen, damit diese Glocken endlich schwiegen. Fabrizio öffnete den Kasten. Darin war der Stromzähler, sonst nichts. Kurz entschlossen riss Fabrizio die Kabel aus der Wand. Sofort wurde das Läuten schwächer und klang schließlich aus. Die darauf folgende Stille war beängstigend. Es schien, als habe Fabrizio nicht nur die Glocken, sondern auch jedes andere Geräusch in Lenzari abgeschaltet. Fabrizio wollte sich eben umdrehen und zum Auto zurückkehren, als er eine grüne Wollmütze auf dem Boden entdeckte. Sie lag in der Abwasserrinne auf der anderen Seite des Torbogens. Er kannte diese Mütze. Sie gehörte Antonio. Selbst im Hochsommer war Antonio nur selten ohne diese Mütze anzutreffen. Mechanisch stieg Fabrizio in die Abwasserrinne. Das Laub unter seinen Füßen raschelte. Es war modrig und kühl hier. Er bückte sich, um die Wollmütze aufzuheben, da entdeckte er die Hand. Sie war wenige Zentimeter über dem Handgelenk abgetrennt worden und lag in der Abwasserrinne wie Abfall, den jemand weggeworfen hatte. Erst jetzt sah er Antonio.
Er lag auf dem Rücken, die Arme über der Brust verschränkt, der linke Arm – es war der mit der fehlenden Hand – zuunterst. An seinen Füßen hatte sich eine Blutlache gebildet. Laub und Erde in der Abwasserrinne hinderten das Blut daran, weiter bergab zu fließen. Ein Buchenblatt lag auf der Blutlache wie ein Boot auf einem stillen See. Der rechte Fuß war ebenfalls abgetrennt worden. Antonios Kopf war nur noch durch etwas Haut im Nacken und über die Wirbelsäule mit dem Körper verbunden. Zwischen Unterkiefer und Brust klaffte eine einzige große Wunde. Die Abwasserrinne schien wie ein grotesk dimensionierter Grabschacht.
Ventimiglia, Mittwoch, 17. Februar 2010, 13:20 Uhr
Der Mann setzte seinen ganzen Körper ein. Er fuhr mit den Armen durch die Luft, spreizte die Finger ab, grimassierte, während die schnellen, präzisen Gesten der Frau regelrecht anmutig wirkten. Marc hatte das Gehörlosenpärchen schon im Intercity von Imperia nach Ventimiglia bemerkt. Jetzt standen die beiden neben ihm auf dem Bahnsteig von Ventimiglia und warteten wie er auf den Regionalzug nach Nizza. Der Mann griff sich immer wieder an die Kehle und rollte die Augen. Er berichtete von grauenhaften Dingen, von Folter und Mord, mutmaßte Marc. Die Gesten der Frau assoziierte er hingegen mit Blumenwiesen und frischen Erdbeeren mit Schlagsahne. Er hätte das Gespräch zu gerne verstanden.
Ein eiskalter Wind fegte über den Bahnsteig. Marc war froh, als der Zug einfuhr und er ins Warme kam.
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