Terror: Thriller (German Edition)
einfach müde, Anna«, sagte Marc.
»Guck mal, da vorn ist ein lustiger Laden.« Conny versuchte Anna abzulenken und ging auf den Laden zu, während Marc noch immer das Mädchen ansah: Ihr Kleid war hoch gerutscht. Er konnte sehen, dass ihre Oberschenkel voller Narben waren. Scheiße, dachte Marc. Scheiße.
In dem »lustigen Laden« suchte sich Anna eine schreiend bunte Plastikhandtasche aus und fünf Kindertattoos, die sie hineintun konnte: eine Prinzessin, einen Ritter, einen Pinguin, einen Delfin und eine Kreuzspinne.
Als sie am Bahnhof ankamen, atmeten sie auf. Es war 16:35 Uhr. Sie hatten in Albenga Rückfahrttickets gekauft und gingen direkt zum Bahnsteig.
Nachdem sie den Containerhafen hinter sich gelassen hatten, fuhr der Zug durch Industriebrachen, die kein Ende nehmen wollten. Verrostete Stahlkolosse standen herum wie vergessenes Riesenspielzeug.
»Was waren das mal für Dinger?«, fragte Anna.
Aber weder Marc noch Conny hatten eine Idee, welchen Zweck diese Bauten einmal gehabt haben könnten.
»Eigentlich haben wir jetzt doch alles ganz gut im Griff, oder?« Conny betrachtete noch immer die Stahlmonster da draußen.
Ja. Das fand Marc auch. Eigentlich war alles Wesentliche geklärt. Übermorgen, am Samstag, würden sie nach Nizza fahren. Connys Eltern würden gegen 11:30 Uhr am Terminal 2 ankommen. Das gab ihnen Zeit, um in Ruhe gemeinsam Mittag zu essen. Er mochte Connys Eltern und freute sich auf das Wiedersehen. Um 15:15 Uhr ging Marcs Flug nach Berlin Schönefeld. Für die Woche nach Pfingsten war der Drehtermin anberaumt. Am Donnerstag, dem 3. Juni, würde Marc wieder nach Lenzari zurückkommen. Dann würden sie ihre Sachen packen, das Auto vollladen und zusammen nach Berlin fahren. Auf dem Weg würden sie bei Marcs Eltern in Süddeutschland Rast machen. Auch seine Eltern sollten schließlich zu ihrem Recht kommen und Anna endlich einmal wieder sehen.
Marc hatte sich innerlich schon von Lenzari verabschiedet. Seit letzter Woche beschäftigte er sich intensiv mit dem bevorstehenden Dreh. Nick hatte ihm, weil Juri keine Zeit hatte, einen neuen Assistenten an die Seite gestellt, mit dem er noch nie gearbeitet hatte. Er war unzufrieden gewesen mit dieser Entscheidung und hatte Nick das wissen lassen. Nick hatte ihm mehrmals versichert, dass Steven, so der Name des neuen Assistenten, ein »super Typ« sei und Marc bestimmt »riesigen Spaß« mit ihm haben werde.
Marc hatte seine Zweifel.
»Steven. Ist der Engländer?«, hatte er Nick gefragt.
Aber Steven war kein Engländer. Er war aus Spremberg bei Cottbus.
Für alle, auch für Anna, war es okay, sich so langsam wieder nach Berlin aufzumachen.
Bei dem Marokkaner hatte sich nichts mehr getan. Alles war ruhig geblieben, und Marc begann sich mit dem Gedanken abzufinden, dass er nie aufklären würde, was in Lenzari wirklich abgelaufen war. Aber er fand es auch nicht so schlimm. Es gab wichtigere Dinge. Seine Familie zum Beispiel.
Als sie um kurz nach halb sieben auf dem Platz vor der Kirche parkten, war Elisa Noè gerade dabei, auf der Veranda Wäsche aufzuhängen. Sie winkte ihnen zu, sie mögen doch kurz hochkommen.
»Eigentlich kann ich nicht mehr«, sagte Conny leise.
»Och, bitte!« Anna wusste, dass sie Eistee bekommen würde und mit dem Plastikherd von Elisa Noès Enkelin spielen durfte.
»Komm. Fünf Minuten«, sagte Marc. Also gingen sie nach oben. Elisa Noè war ihnen mit der Zeit allen sehr ans Herz gewachsen. Für Anna war sie eine Art Ersatzoma geworden. Anna erzählte ihr vom Sägefisch und den Clownfischen und der Pizza boscaiola, die sie in Genua gegessen hatte, und zeigte ihr die neue Handtasche mit den Tattoos, und Marc stand vor der Herausforderung, das alles zu übersetzen. Plötzlich hörten sie von oberhalb Gesang. »Das ist Enzo«, sagte Elisa Noè. Sie erzählte ihnen, Enzo leide an »Melancholie«, wie sie es ausdrück te. Er verlasse manchmal monatelang sein Haus nicht, und wenn er dann auftauche, wandere er meist ruhelos durch die Gegend. Marc wurde klar, dass Elisa Noè von dem geistig Behinderten sprach. Offenbar war Enzo schwer depressiv.
»Ich hab ihn in den letzten Wochen oft mit Nosferatu …« Marc biss sich auf die Lippen. »Ich habe ihn oft mit Mario zusammen gesehen.« Die beiden waren, abgesehen von den Carabinieri aus Pieve, die einzigen Menschen, die seine Kamera vor dem Haus des Marokkaners aufgenommen hatte. Aber das erzählte er Elisa Noè nicht. Die beiden Männer hatten auf der Treppe von
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