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Teufelszeug

Teufelszeug

Titel: Teufelszeug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Hill
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nachgedacht, sie zu verstecken.«
    »Ich bring dich um«, flüstert Terry.
    »Klar doch«, sagt Lee. »Nur zu. Dann hast du zwei Leichen, für die du eine Erklärung finden musst. Tu dir keinen Zwang an!«
    Terry wendet sich um und starrt verzweifelt das Telefon auf der Theke an. Wenn er nicht gleich zum Hörer greift und jemanden anruft, wird er den Rest seines Lebens dafür bezahlen, dessen ist er sich in aller Deutlichkeit bewusst. Und doch kann er den Arm nicht heben. Er gleicht einem Schiffbrüchigen auf einer einsamen Insel, der ein Flugzeug beobachtet, das vierzigtausend Fuß über ihm am Himmel funkelt, und er hat keinerlei Möglichkeit, sich bemerkbar zu machen.
    »Vielleicht«, sagt Lee, »ist es aber doch ganz anders gelaufen - vielleicht ist sie von einem Fremden ermordet worden, der zufällig da vorbeikam. Das passiert dauernd. Davon erzählen sie doch ständig in den Nachrichten. Niemand hat gesehen, wie wir sie mitgenommen haben. Niemand hat
gesehen, wie wir zur Gießerei abgebogen sind. Alle Welt ist der Meinung, dass wir nach der Sauferei am Lagerfeuer zu mir nach Hause gefahren sind. Wir haben Karten gespielt und bis zwei Uhr morgens SportsCenter geguckt. Dann sind wir eingeschlafen. Mein Haus liegt auf der anderen Seite der Stadt. Es gibt nicht den geringsten Grund, warum wir zum Pit hätten rausfahren sollen.«
    Terrys Brust verkrampft sich, und er ringt um Atem. So muss Ig sich fühlen, wenn er einen Asthmaanfall bekommt, denkt er bei sich. Seltsam, dass er den Arm nicht heben kann, um nach dem Telefon zu greifen.
    »Das war’s. Ich habe gesagt, was ich sagen wollte. Jetzt musst du dich entscheiden: Du kannst dein Leben als Krüppel leben oder als Feigling. Das liegt ganz bei dir. Aber glaub mir - Feiglinge haben mehr Spaß!«
    Terry rührt sich nicht, antwortet nicht und kann Lee auch nicht anschauen. Sein Pulsschlag hämmert in seinem Handgelenk.
    »Ich sag dir was«, fährt Lee beschwichtigend fort. »Wenn die jetzt einen Bluttest bei dir durchführen, würdest du ihn nicht bestehen. In deinem Zustand willst du bestimmt nicht zu den Bullen gehen. Du hast gerade mal drei Stunden geschlafen und kannst keinen klaren Gedanken fassen. Sie ist schon die ganze Nacht tot, Terry. Warum nimmst du dir nicht ein paar Stunden Zeit, um die ganze Sache zu überdenken? Vielleicht wird sie erst in einigen Tagen gefunden. Du solltest jetzt nichts überstürzen, was du später bereuen könntest. Warte, bis du dir sicher bist, was du tun willst.«
    Als Terry den Satz hört - vielleicht wird sie erst in einigen Tagen gefunden - zuckt er zusammen, und vor seinem geistigen Auge sieht er Merrin mit Regenwasser in den Augen im nassen Gras liegen, während ihr ein Käfer durchs Haar
kriecht. Er muss daran denken, wie sie zitternd in ihren nassen Kleidern auf dem Beifahrersitz saß und ihm einen schüchternen, unglücklichen Blick zuwarf. Danke, dass ihr mich abholt. Ihr habt mir gerade das Leben gerettet.
    »Ich will nach Hause«, sagt Terry. Eigentlich soll es aggressiv klingen, hart und entschieden. Aber stattdessen bringt er nur ein heiseres Flüstern zustande.
    »Na klar«, sagt Lee. »Ich fahr dich. Aber ich hol dir vorher noch eins von meinen Hemden. Deins ist voller Blut.« Er deutet auf die schwarzen Streifen auf Terrys Hemdbrust, die erst jetzt, im schillernden Licht des anbrechenden Morgens, als getrocknetes Blut erkennbar sind.
     
    Ig hat all das während einer einzigen Berührung gesehen, so als hätte er den ganzen Weg bis zur alten Gießerei bei ihnen im Wagen gesessen - all das hat er gesehen und noch viel mehr. Er hat gesehen, wie Terry dreißig Stunden später Lee in dessen Küche angefleht hat. Die Sonne schien strahlend hell, und trotzdem war es ungewöhnlich kalt; von den Straßen drang Kindergeschrei herein, und im Pool nebenan planschten ein paar Teenager. Die lichtdurchflutete Normalität jenes Morgens kontrastierte merkwürdig mit der Tatsache, dass Ig hinter Gittern saß und Merrin in einem Kühlfach im Leichenschauhaus lag. Lee stand gegen die Küchentheke gelehnt da und schaute teilnahmslos zu, während Terry von einem Gedanken zum nächsten sprang, von einer Gefühlslage in die nächste stürzte. Er sprach mit erstickter Stimme, manchmal vor Wut, dann wieder vor Verzweiflung. Lee wartete, bis Terry seine Energie aufgebraucht hatte, und sagte dann: Die werden deinen Bruder schon wieder laufen lassen. Bleib cool. Die Ermittlungsergebnisse werden zeigen, dass er es nicht gewesen sein kann,

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